Interview mit Astrid Böhmisch

"Berührt hat mich die Dankesrede der Übersetzerin Ki-Hyang Lee"

25. März 2024
Nils Kahlefendt

"Um die Leipziger Buchmesse muss man sich aktuell keine Sorgen machen", resümiert Astrid Böhmisch im Interview ihre erste Leipziger Buchmesse in verantwortlicher Position. Die neue Messedirektorin hat aber auch Punkte identifiziert, bei denen sie Änderungsbedarf sieht. Nach der Osterpause will sie mit dem Team in die Analyse gehen.

Astrid Böhmisch

Frau Böhmisch, 283.000 Besucherinnen und Besucher, 9.000 mehr als im Vorjahr (2023: 274.000) – damit scheint die Leipziger Buchmesse an den Rekord-Modus der Jahre vor Corona anzuknüpfen. Zufrieden?

Astrid Böhmisch: Es ist ein deutliches Plus, das stimmt. Das Wort "Rekord" möchte ich nicht in den Mund nehmen. Das bringt uns in eine Rekordjagd, die nicht förderlich ist. Es geht nicht um "Höher, Schneller, Weiter", sondern darum, auszutarieren, was für diese Messe das Beste ist. Um die Leipziger Buchmesse muss man sich aktuell keine Sorgen machen. 

Mittelständische wie große Publikumsverlage fragen aktuell stärker denn je, ob sich Aufwand und Ertrag rechnen. Warum bleibt ein Messestand in Leipzig unverzichtbar?

Böhmisch: Es gibt wohl kaum ein stärkeres Argument für die Leipziger Buchmesse, als die Möglichkeit, hier in unmittelbaren Kontakt mit den Leserinnen und Lesern zu gehen! Die Kommunikation in der Leser-Community, all die Postings, Visuals, Videos, Social-Media-Aktivitäten vor, während und nach der Buchmesse – das ist, verzeihen Sie den Fachjargon, grandioses Content-Marketing. Zudem ist, ausweislich unserer Befragungen, ein Großteil des Publikums hier, um neue Autorinnen und Autoren zu entdecken, um sich überraschen und inspirieren zu lassen. Damit unterscheiden sich Käufe auf der Leipziger Buchmesse sicher auch vom Kauf in der Buchhandlung. Als Verlag hat man so die Chance, Autorinnen und Autoren aufzubauen – Sie wissen, wie schwierig es ist, Newcomer auf ein neues Level zu heben. 

In Leipzig angelegtes Geld ist gut angelegtes Geld?

Böhmisch: Absolut! Gibt es eine andere Antwort? 

Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse; nachdem Sie mit dem Team auf diesen Jahrgang angestoßen haben, beginnen im Prinzip die Vorbereitungen auf 2025, das für Sie ein Schlüsseljahr wird. Wie ist der Fahrplan für früh entschlossene Bucher, große wie kleine; gibt es schon eine Preisstruktur? 

Böhmisch: Wir gehen nach der Messe in Klausur, werten die Ergebnisse unserer Marktforschung aus. Dann gehen wir in eine Pricing-Diskussion, bei der natürlich auch das gesamte Preisgefüge der Branche eine Rolle spielt. Eine der Fragen, die uns dabei leitet, ist: Wie können wir Vielfalt auf der Leipziger Buchmesse gewährleisten? Die ist uns wichtig. Der Anmeldeprozess für 2025 startet dann Ende Juni.  

Wie haben Sie die Interventionen propalästinensischer Aktivistinnen bei der Eröffnungsfeier im Gewandhaus erlebt? Musste man damit rechnen?

Böhmisch: Wir haben uns auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet. In Demokratien bewegen wir uns auf einem schmalen Grat zwischen dem Zulassen von Meinungsäußerungen und dem Umgang mit unmittelbaren Interventionen. Dass mit Omri Boehm ein Philosoph und Autor ausgezeichnet wurde, der ja gerade im Dialog den einzigen möglichen Weg sieht, macht die Sache nicht einfacher. Der Bundeskanzler hat ja ganz klar signalisiert: Brüllen ist kein Dialog. Als Politprofi ist man dieser Tage sicher auf so etwas vorbereitet – für mich war der Moment selber, der sich wie in einer griechischen Tragödie auf der Zeitachse zu dehnen schien, schwer auszuhalten. 

Sie haben in Interviews mehrfach betont, dass Sie sich – nach drei Monaten im Amt – während Ihrer ersten Buchmesse alle Prozesse anschauen, nur an der ein oder anderen Stelle eine persönliche Note setzen und hauptsächlich als Motivations-Trainerin tätig werden wollen. Haben Sie in den letzten vier Tagen denn Punkte identifiziert, an denen man künftig mit Änderungen rechnen kann?

Böhmisch: Ich habe diese Punkte identifiziert und werde mit dem Team in die Analyse gehen. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich sie nicht im Börsenblatt aufliste – gehen Sie aber davon aus, dass der frische, unverstellte Blick auf die Dinge auch hilfreich sein kann. 

Was waren bei dieser Premiere Ihre persönlichen "Messe-Momente"?

Böhmisch: Mein Terminplan ist so getaktet, dass, so lange die Messe währt, wenig Zeit zur Reflexion bleibt. Ehrlich berührt hat mich die Dankesrede der Übersetzerin Ki-Hyang Lee, weil sie so unverstellt und emotional war. Großartig fand ich die Stimmung und das Miteinander der TRADUKI-Community. Ich habe den TRADUKI-Empfang in der Kafana eröffnet, ein Routine-Termin, wenn Sie so wollen – aber die Warmherzigkeit und Zugewandheit all der Leute, die ich ja erst kennenlerne, hat mich schon überwältigt. Ich bin dann zur Balkan-Nacht ins UT Connewitz gegangen, nicht zuletzt, um auch unsere Preisträgerin Barbi Marković "in Action" zu erleben – ich habe es nicht bereut. 

Wie kommen Sie jetzt, da alles fürs Erste geschafft ist, "runter"?

Böhmisch: Man macht es wie ein Sportler, der abtrainieren muss. Wir stoßen jetzt mit dem Team auf eine erfolgreiche Messe an. Dann wird Liegengebliebenes, Letztes und Allerletztes erledigt. Es folgt eine kurze Osterpause in Südtirol. Und weil ich keine Worte mehr im Körper habe, werde ich lesen. Auf dem Stapel ganz oben liegen Daniel Kehlmann, Dana Vowinckel, und Lize Spit.  

Werden das echte Papierbücher sein? Oder bevorzugen Sie bei Ihrer beruflichen Vorgeschichte ein elektronisches Device?

Böhmisch: In diesem Fall nehme ich die physischen Exemplare mit. Und wissen Sie, warum? Es sind echt schöne Bücher!