Interview mit Marion Kraft und Daniela Seel

"Amanda Gormans Lyrik ist poetisch und politisch zugleich"

10. Juni 2022
Michael Roesler-Graichen

Bei der Amtseinführung Joe Bidens machte Amanda Gorman mit ihrem Gedicht "The Hill We Climb" Furore. Nun liegt ihr erster großer Gedichtband in einer zweisprachigen Ausgabe vor. Marion Kraft und Daniela Seel über den Reiz und die Herausforderung, Gormans Verse ins Deutsche zu übersetzen.

Ist Amanda Gormans neuer, großer Gedichtband "Was wir mit uns tragen – Call Us What We Carry" das erste Projekt, an dem Sie gemeinsam gearbeitet haben?
Kraft: Ja, wir kannten uns beide vorher nicht. Aber ich habe schon früher im Tandem übersetzt.
Seel: Als Hoffmann und Campe mich fragte, lag das Manuskript noch nicht vor, aber ich hatte große Lust auf das Projekt. Und umso schöner, es gerade mit Marion umsetzen zu dürfen.

Worin liegt für Sie die besondere Herausforderung bei der Übersetzung dieser Gedichte?
Kraft: Bei der ersten Lektüre ging es darum, die Themenvielfalt zu durchdringen und zu erkennen, dass es sich nicht um aneinandergereihte Gedichte handelt, sondern um eine Gesamtaussage aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dann natürlich die sprachliche Seite: Wie kann man die Bilder, Wortspiele und Alliterationen ins Deutsche übersetzen?
Seel: Amanda Gormans Stil ist unter anderem von der Tradition der Black Church geprägt, für die es in der deutschsprachigen Literatur kaum eine Entsprechung gibt. Diesen besonderen Ton in seiner historischen Tiefenschichtung zu treffen, ohne dass die Bezüge Leser:innen hierzulande präsent sind, war herausfordernd.

Sind die deutschen Übertragungen jeweils das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung, oder haben Sie die Übersetzung der Texte untereinander aufgeteilt?
Kraft: Beides. Aber zunächst einmal haben wir die Gedichte angesichts des Zeitdrucks, unter dem wir standen, ziemlich formal aufgeteilt. Für uns beide war es ein Sprung ins kalte Wasser. Die Übersetzung, wie sie jetzt erscheint, ist aber das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung. Wir haben diskutiert, gegengelesen, kommentiert und einander Vorschläge gemacht.
Seel: Die Arbeit im Team empfinde ich immer als bereichernd. Unterschiedliche Lebens- und Spracherfahrungen, unterschiedliche Lesarten miteinander besprechen zu können, schafft ein Bewusstsein für den Text, das ein Kopf alleine so nicht entwickeln kann.

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