Auszeichnung

Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik für Roman Bucheli

15. April 2021
Holger Heimann

Der Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik 2021 geht an Roman Bucheli, den stellvertretenden Leiter der Feuilletonredaktion bei der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).

Roman Bucheli

Der Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik 2021 geht an Roman Bucheli, den stellvertretenden Leiter der Feuilletonredaktion bei der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Das sagt die Jury über Bucheli und seine Arbeit:

"Bucheli ist seit mehr als 20 Jahren Feuilleton­redakteur bei der ›Neuen Zürcher Zeitung‹; immer stilistisch brillant, stets auf der Höhe der kritischen Diskussion, von denkbar breiten Kenntnissen gestützt. Er ist bisweilen bissig in seinem Urteil, aber mit Haltung auf­seiten der Autoren, gelegentlich sogar der Verleger. Bucheli widmet sich in seinen Kritiken intensiv der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, insbesondere der Lyrik. Allemal sind seine Rezensionen Erfrischungsbäder für Literaturliebhaber. Roman Bucheli steht in der ersten Reihe der Literaturkritiker ganz vorn."

Die vom Fachmagazin Börsenblatt gestiftete Auszeichnung ist mit 5.000 Euro dotiert. Die Preisverleihung soll im Herbst 2021 stattfinden.

Literaturkritik ist keine Homestory

Roman Bucheli

Ein Porträt des Preisträgers

»Wie sehr uns der analoge Austausch fehlt, erkennen wir erst, wenn wir hilflos vor unseren Computerkameras herumhampeln und mit zehn, zwanzig und mehr Leuten zum Gespräch verbunden sind.« Das hat Roman Bucheli vor einigen Wochen in der »Neuen Zürcher Zeitung« geschrieben, und es lässt sich leicht daraus ablesen, dass der Journalist kein Fan von Zoom-Konferenzen ist. Abgesehen von veränderten Kommunikationswegen hat sich der Arbeitsalltag für den stellvertretenden Feuilletonchef jedoch nur wenig verändert. Er habe im Homeoffice keineswegs mehr Zeit zum Lesen und Schreiben, sagt er am Telefon, obschon das doch »die schönste Aufgabe« sei.

Verändert hat sich das Selbstverständnis innerhalb der Feuilletonredaktion der »Neuen Zürcher Zeitung« schon weit vor der Pandemie. Es gibt weniger Literaturkritiken im Blatt. Eine Leserbefragung habe gezeigt, dass Rezensionen nicht das beliebteste Genre seien. Überdies glaubt Bucheli: »Kerndisziplin des Feuilletons ist nicht das Rezensions­wesen, sondern das freie Denken außerhalb der gewohnten Bahnen. Man setzt sich hin und schreibt über ein Thema, das einem auf der Zunge liegt, und weiß nicht, wohin man damit kommt.«

Wir wollen Sensibilität für ein literarisches Werk schaffen.

Roman Bucheli

Der Begeisterte

Das bedeutet für Bucheli keineswegs, dass die klassische Literaturkritik etwa zur Homestory mutieren sollte. Bucheli schätzt »die intensive, hermeneutische, kritische Auseinandersetzung mit einem Werk im Horizont eines Gesamtwerks oder einer literarischen Strömung«. Und doch schreibt auch der 60-Jährige heute anders über Bücher: »Wir versuchen, weniger Inhalt en détail wiederzugeben, sondern unsere Begeisterungsfähigkeit zu vermitteln, Sensibilität für ein literarisches Werk zu schaffen.«

Nicht mehr als zwei Rezensionen je Monat schreibe er, schätzt Bucheli, froh darüber, gezielt auswählen zu können und nicht reihenweise Texte produzieren zu müssen. »Ich wusste von Anfang an, dass es die größte Gefahr für einen Literaturkritiker ist, dass er zynisch und abgestumpft wird angesichts der Fülle neuer Bücher«, sagt er. »Es ist mir immer wieder gelungen, mich von Büchern hinreißen und packen zu lassen.«

Der Banker

Roman Bucheli hat Germanistik und Philosophie studiert und über den Schweizer Lyriker Alexander Xaver Gwerder promoviert. Doch der Weg zum Literaturkritiker war damit für ihn keineswegs schon klar vorgezeichnet. Bucheli ging zunächst zu einer Bank und stieg bis zum Vizedirektor auf. Eine Karriere, die in der Schweiz womöglich noch ein bisschen verlockender und naheliegender ist als anderswo, selbst für einen Germanisten? Der ehemalige Banker lacht. »Längerfristig kann ich als Mitarbeiter einer Bank nicht glücklich werden.« Nach der abgebrochenen Banklaufbahn verfasste er Programmhandbücher für eine Softwarefirma, dann wurde er Redakteur beim Deutschen Literatur-Lexikon. Parallel dazu schrieb er Literaturkritiken – vor allem für die »Neue Zürcher Zeitung«, bis ihm dort 1999 eine Stelle angeboten wurde. 

Eine Offenbarung für mich und auch ein Vorbild.

Roman Bucheli über Walter Benjamin

Der Benjamin-Freund

Seine Rezensionen seien »Erfrischungsbäder für Literaturliebhaber«, heißt es nun in der Begründung der Jury, die dem Schweizer Kritiker den Alfred-Kerr-Preis ver­liehen hat, überschwänglich. An Alfred Kerr schätze er den »unerschrockenen Zugang, die Bereitschaft, auch vor einem ungerechten Urteil nicht zurückzuschrecken, mithin sich auszusetzen«. Aber ein anderer Kritiker steht Roman Bucheli näher: »An Walter Benjamin beeindruckt mich seine Neugier, selbst an den entlegensten Orten mit der Wünschelrute des Kritikers fündig zu werden und eine Analyse der Zeit vornehmen zu können.« Begeistert erzählt Bucheli von einer ausführlichen Besprechung eines Schweizer Standardwerks der Naturheilkräuter durch Benjamin: »Das ist eine Offenbarung für mich gewesen und auch ein Vorbild.« Man darf gespannt sein, wo Roman Bucheli selbst noch fündig werden wird. 

Die Auszeichnung

Seit 1977 würdigt das Fachmagazin Börsenblatt mit dem Alfred-Kerr-Preis literaturkritisches Schaffen in den deutschsprachigen Medien auf kontinuierlich hohem Niveau. Die Auszeichnung erinnert an den Schriftsteller, Theaterkritiker und Publizisten Alfred Kerr (1867 bis 1948), der in der Kritik eine eigene Kunstform sah. Über die Vergabe entscheidet die Jury:

  • Katrin Lange, Programmreferentin des Münchner Literaturhauses
  • Michael Lemling, Geschäftsführer der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl
  • Alexandra Pontzen, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Duisburg-Essen
  • Klaus Reichert, Ehrenpräsident der Akademie für Sprache und Dichtung
  • Verleger Klaus Schöffling
  • Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir