Kinderbuch

Mehr Wirklichkeit!

16. September 2020
Redaktion Börsenblatt

Deutsche Kinderbücher bilden die Welt nicht so vielfältig und vielschichtig ab, wie sie ist. Diversität ist meist die Ausnahme. Olaolu Fajembola, Inhaberin der Versandbuchhandlung tebalou in Berlin, wünscht den Verlagen mehr Mut, andere Perspektiven einzunehmen.

Deutschland braucht mehr Diversität in Kinderbüchern. Dieser Ruf ist nicht neu, hat aber in diesem denkwürdigen Jahr 2020 an Dringlichkeit gewonnen. Die Reaktio­nen auf die Ereignisse rund um die brutale Ermordung des schwarzen Amerikaners George Floyd und die #BlackLivesMatter-Bewegung stießen im weißen deutschen Mainstream auf einen Nerv, der den Rassismus gegenüber schwarzen Menschen in das westliche Bewusstsein rückte. Mehr und mehr Eltern, insbesondere weiße Eltern, beginnen zu verstehen, dass die Forderung nach mehr 
Diversität in Kinderbüchern nicht nur ein hehres Ziel war. Sie ist vielmehr ein Muss für eine neue Generation von Kindern, die diversitätssensibel antirassistisch aufwächst. Dafür fehlt es aber auf breiter Front noch immer an gesellschaftlich relevanten Kinderbüchern auf dem deutsch-sprachigen Markt.
Statt von mehr Diversität möchte ich eher von mehr Wirklichkeit in den deutschsprachigen Kinderbüchern sprechen. Die meisten Geschichten in diesen Büchern werden (zugespitzt) mit erschlagender Mehrheit aus der Perspektive von weißen, bildungsbürgerlichen, häufig männlichen Kindern erzählt. Die Mehrheit der heutigen Kinder ist in diesen Geschichten nicht repräsentiert, allenfalls als Beiwerk in Form eines Freundes, 
einer Freundin oder einer namenlosen Person. Kinderbücher könnten und sollten die Welt so abbilden, wie sie ist. Sie sollten sensibel und wertschätzend und vor allem auch von den vielfältigen Lebenswirklichkeiten der Kinder erzählen. Die deutsche Kinderbuchwelt benötigt mehr Geschichten, die zum Beispiel die gefährliche »Single Story«, die eindimensionale Erzählung einer Geschichte, vor der Chimamanda Ngozi Adichie warnt, durchbrechen. Ein Kind, das über eine Fluchterfahrung verfügt, muss nicht allein darüber definiert werden. Dieses Kind ist sehr viel komplexer als dieses übergroße, gravierende Schicksal. Es erlebt Momente des Heldentums, der Resilienz, des Widerstands, der Widrigkeiten. Es lacht, träumt, weint und erlebt Momente der Zärtlichkeit. 
Und ja, es erlebt auch Rassismus und leidet unter anderen Herrschaftsstrukturen. Nicht Strukturen der Vergangenheit, sondern Strukturen, die im Hier und Jetzt verankert sind. 
Mitten im Leben. Mitten unter uns. 
 

Wagt Diversität – und zwar nicht nur als ›Make-up‹ in den Illustrationen.

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