So geht Thalia gegen den Fachkräftemangel vor

"DIE SITUATION WIRD IMMER DRINGLICHER"

12. Juli 2022
von Christina Schulte

Bettina Günther, Personal-Geschäftsführerin bei Thalia, setzt zur Bewältigung des Fachkräftemangels auf verschiedene Strategien, darunter effektives Recruiting und frühzeitige Mitarbeiterbindung. Das Unternehmen hat zehn Verhaltensgrundsätze definiert und detailliert beschrieben.

Inwieweit macht der Fachkräftemangel Thalia zu schaffen?
Fachkräftemangel ist das vorherrschende Thema auf dem Arbeitsmarkt und beschäftigt uns natürlich auch. Dabei wird die Situation immer dringlicher: die große Austrittswelle steht noch bevor, denn die geburtenstarken Jahrgänge gehen nach und nach in Rente. Bislang konnten wir alle offenen Stellen besetzen – aber der Recruiting-Prozess wird aufwändiger und es dauert länger, den richtigen Kandidaten oder die richtige Kandidatin zu finden.  

Bekommen Sie noch die Mitarbeiter*innen, die Sie sich wünschen oder müssen Sie Abstriche machen?
Von unseren Anforderungsprofilen wollen und werden wir nicht abrücken. Daher stellen wir unser Recruiting − Organisation und Prozesse − gerade neu auf. Recruiting ist eine Aufgabe, die man nicht nebenbei schultern kann, sondern die hochfokussiert angegangen werden muss. Ich bin davon überzeugt, dass effektives Recruiting ein entscheidender Faktor ist, um ein wachsendes Unternehmen wie Thalia zukunftsfähig zu machen.

Wie viele Recruiter:innen beschäftigen Sie?
Im Moment haben wir drei Recruiter*innen, eine davon in Teilzeit. Wir suchen aber noch weitere.

Wo suchen Sie nach neuen Kolleg*innen?
Wir sprechen potenzielle Bewerber*innen zielgruppenspezifisch an. Wenn es um Auszubildende geht, dann zum Beispiel auf Jobmessen speziell für Schüler*innen beziehungsweise für Berufseinsteiger*innen. Vertreten sind wir natürlich auch in den Online-Medien, auf Job- und Karriereportalen und in den gängigen Sozialen Medien. Auch hier sind wir dabei, unsere Kontaktpunkte effektiver und zielgenauer zu gestalten. Wir möchten ein authentisches Bild von Thalia vermitteln und erklären, warum es sich lohnt, zu uns zu kommen.

 

Bewerben sich Mitarbeiter*innen bei Ihnen oder ist es umgekehrt?
Wir haben aktuell in Deutschland einen Arbeitnehmermarkt und müssen, wie alle anderen Unternehmen auch, verstärkt um Mitarbeitende werben. Als starke und bekannte Marke haben wir dabei natürlich einen Vorteil. Zukünftig werden wir noch aktiver auf Interessent*innen zugehen und offensiv kommunizieren, was wir zu bieten haben. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Welche Kanäle nutzen wir, wen sprechen wir mit welchen Inhalten an, wie schaffen wir eine gute Erfahrung für Bewerber*innen, sprich Candidate Experience, welche Rolle spielt für uns Diversität?

Wie ist es bei Thalia um Diversität bestellt?
Da gibt es sicher Nachholbedarf. Es fängt damit an, dass wir etwa auf Instagram überwiegend junge Buchhändlerinnen zu Wort kommen lassen. Wir möchten uns aber auch stärker um die Jungs bemühen und ihnen zeigen, dass unsere Ausbildung auch für sie sehr attraktiv sein kann. Wenn wir mehr männliche Bewerber hätten, wäre gleich ein Teil des Nachwuchsproblems gelöst. Auch an der geeigneten Ansprache von Menschen mit Migrationshintergrund müssen wir arbeiten. Wir haben gerade ein großes Kulturprogramm auf den Weg gebracht. Ein Leitbild, an dem sich alle Mitarbeiter*innen, aber auch Bewerber*innen im Einstellungsprozess, orientieren können. Es beschreibt, für welche Kultur wir bei Thalia einstehen, welche Werte wir haben, wie wir zusammenarbeiten, was uns wichtig ist. Diversität und Inklusion sind in diesem Leitbild fest verankert.

Was heißt Diversität konkret für Sie?
Wir schätzen viele, unterschiedliche Perspektiven und möchten jede und jeden dazu ermuntern, ihre Sichtweisen ins Unternehmen einzubringen. Ich bin überzeugt, dass Diversität in diesem Sinne neue Erkenntnisse schafft, die Unternehmen erfolgreicher machen. Voraussetzung ist, dass Diversität auch wirklich gelebt wird. Ich möchte, dass bei Thalia Diversität und Inklusion selbstverständlich wird, so wie es dieses Zitat ausdrückt: „Diversity is being invited to the party; inclusion is being asked to dance.“ Dann muss nur noch die richtige Musik gespielt werden! Das eine ist das Reinholen von Diversität in Unternehmen, das andere ist der wertschätzende Umgang miteinander und das voneinander lernen. Darauf kommt es mir an.

Welches sind wichtige Leitlinien in Ihrem Kulturprogramm?
Insgesamt haben wir zehn Verhaltensgrundsätze definiert und detailliert beschrieben. Das sind Leitsätze als roter Faden unserer Unternehmenskultur und als Orientierung für das eigene Verhalten. Für alle heutigen und zukünftigen Mitarbeiter*innen. Jeder einzelne kann daraus Stärken und Entwicklungsfelder für sich ableiten. Beispiele sind: „Wir ziehen Talente an. Und entwickeln sie weiter – weil wir eine Kultur haben wollen, in der jeder Einzelne dafür mitverantwortlich ist, Talente im eigenen Bereich, aber auch darüber hinaus weiterzuentwickeln. Oder: Wir lernen und wachsen. Über uns hinaus – im Sinne der Weiterentwicklung unserer Lernkultur. Wir fragen aber auch „Wie geht das einfach?“, weil wir als wachsendes Unternehmen unsere Flexibilität und Agilität erhalten bzw. ausbauen wollen. Jetzt geht es darum, die Verhaltensgrundsätze im beruflichen Alltag einzusetzen. Gemeinsam reflektieren, Routinen schaffen, uns gegenseitig Feedback geben, uns coachen – und sie sukzessive in unsere Prozesse integrieren.

Welche Rolle spielt die Ausbildung bei Thalia?
Die Ausbildung ist immens wichtig und wird immer wichtiger. Denn dort, wo wir keine fertig ausgebildeten Fachkräfte finden, müssen wir ausbilden. Das tun wir schon heute als größter Ausbilder in der Branche. Der Buchhändlerberuf ist attraktiv und vielseitig. Wir können das Image jedoch verbessern, indem wir aufzeigen, welche Entwicklungsmöglichkeiten es im Unternehmen gibt. Wir wissen schon jetzt, dass wir in den nächsten Jahren aufgrund des demografischen Wandels viele Führungskräfte verlieren werden. Für junge Menschen bietet sich jetzt die Chance, in die Aufgaben hineinzuwachsen und sehr frühzeitig Verantwortung zu übernehmen.

Wollen die jungen Menschen denn Verantwortung übernehmen?
Mein Eindruck ist: ja. Wir stellen fest, dass wir ganz hervorragende junge Leute haben, die bereits direkt nach der Ausbildung in Teilbereichen Verantwortung übernehmen, dann vielleicht noch einen Fach- oder Handelswirt draufsetzen und anschließend die die Leitung einer kleinen Buchhandlung oder auch Führungsaufgaben in den Zentralen übernehmen.


 

Für wie wichtig halten Sie es, Buchhändler*innen besser zu bezahlen, um den Beruf attraktiver zu machen?
Die Gehaltsfrage spielt eine Rolle, ist aber nicht der entscheidende Faktor für die Berufswahl. Auch wenn das Thema gerade wieder stärker in den Fokus gerät, Stichworte sind Mindestlohn oder Inflation. Für uns ist es deshalb wichtig, dass wir markt- und leistungsgerecht zahlen. Durch Zukäufe bei Thalia sehen wir, welche Gehälter andere Buchhandlungen gezahlt haben – häufig deutlich weniger als wir zahlen. Im letzten Jahr haben wir daher einen Schnitt gemacht und durch ein einheitliches Gehaltssystem mehr Transparenz geschaffen. Somit haben alle Mitarbeiter*innen, die sich für dieses Modell entscheiden, die Sicherheit, dass sie entsprechend ihrer Arbeit bezahlt werden, unabhängig davon, welche berufliche Historie sie bei uns haben.

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