Gastland-Serie: Auf einen Espresso mit… Donatella Di Pietrantonio

Die nördlichste Region Süditaliens

18. Oktober 2024
von Nicola Bardola

Donatella Di Pietrantonio erhielt 2024 den wichtigsten italienischen Literaturpreis und erlebte im Vorfeld der Buchmesse den ersten Fall von Mikrozensur.

Donatella Di Pietrantonio

Donatella Di Pietrantonio wurde für ihren fünften Roman “Die zerbrechliche Zeit“ (Antje Kunstmann) mit dem Premio Strega 2024 ausgezeichnet. Die Handlung von "L’età fragile" (bei Einaudi) spielt – wie fast alle Geschichten Pietrantonios – in den Abruzzen. "Das ist eine Gegend, die in Deutschland vergleichsweise unbekannt ist. Zu unrecht. Viele wissen nicht einmal, wo die Abruzzen sind. Bei Lesungen erkläre ich das so: 'Stellen Sie sich den Stiefel vor. Rom kennen Sie ja. Gehen sie jetzt von dort aus nach rechts.'" Pietrantonio erzählt von einem Freund, der seinen Job aufgegeben hat, um sich ganz der "nördlichsten Region Süditaliens" zu widmen, die Berge (bis fast 3.000 m.ü.M.), Hügellandschaften, einen Nationalpark und Küsten (z.B. die Sandstrände von Martinsicuro) umfasst. "Mein Freund lauscht in die Landschaft hinein, hat dadurch Ruhe und Glück gefunden, postet im Winter aber auch Videos, wie er mit Skiern auf der Majella fährt und dabei ständig das Meer filmt", lacht Pietrantonio und schwärmt für das Hochplateau Campo Imperatore (Kaiserliches Feld), den Fosco Maraini (Vater von Dacia) als "kleines Tibet" bezeichnete.     

Die in den Abruzzen geborene, heute in der Nähe von Pescara lebende und vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin wurde zum ersten Opfer von Mikronzensur vor der Buchmesse. Pietrantonio sollte für den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Rai 3 anlässlich von Regionalwahlen im März 2023 einen Monolog über die Abruzzen lesen. Aber Pietrantonios Aussagen waren dem Sender nicht genehm. Die Lesung wurde kurzfristig abgesagt, was jetzt unter Autor:innen diskutiert wird und ein juristisches Nachspiel hat. Was lässt sich gegen Mikrozensur tun? "Ich sage es Ihnen: Wenn wir eine Stimme haben, ein Minimum an Sichtbarkeit als Autor:innen, dann halte ich es für richtig, sich in den Dienst der Öffentlichkeit zu stellen. Wer schreibt, sollte sich für mehr Wachsamkeit engagieren, sollte alle Hinweise und Ereignisse aufmerksam registrieren, die sich gegen unsere demokratischen Freiheiten richten. Und wir sollten sie dem Publikum zurückgeben. Hier passiert mal das, dort mal jenes. Wir müssen aufpassen, was in der Gesamtheit geschieht. Ein einzelner Vorfall könnte Zufall sein. Auch das, was mir passiert ist, könnte man als Kleinigkeit, als nebensächlich erachten. Damals fand ich das tatsächlich alles nicht so wichtig. Mir schien es keine böswillige Absicht des Senders zu sein. Aber dann folgte der Fall Antonio Scurati, dann der Fall Roberto Saviano und jetzt der Fall Christian Raimo."

Pietrantonio hat den Protestbrief der italienischen Autor:innen „mit großer Überzeugung unterschrieben“. Sie ist beunruhigt durch die Vorfälle in ihrer Summe. Sie glaubt, dass die Autor:innen sich bereits jetzt in einem Klima befinden, in dem störende Stimmen unauffällig beseitigt werden sollen. Aber sie liebt die Frankfurter Buchmesse und lässt sich ihre Begeisterung für Literatur nicht nehmen. „Ich könnte für das Foto die Arme hinter dem Kopf verschränken wie die Frau auf dem Buchcover?“, lacht Pietrantonio. Danach empfiehlt sie ein ganz einfaches Kochrezept aus den bäuerlichen Abruzzen für die deutschen Leser:Innen: „Es braucht nur Olivenöl, Paprika und Eier. Das Öl erhitzen, die länglich geschnittenen Paprika frittieren, nicht zu heftig, die Eier schlagen, nicht zu heftig, in die Pfanne gießen, nur ein wenig rühren, fertig. Es schmeckt vorzüglich!“