Buchverlage sind kaum aktiv auf Twitter. Warum eigentlich?

Twitter und Verlage – alle ausgeflogen?

2. Oktober 2017
von Börsenblatt
Kaum jemand spricht im Zusammenhang mit dem sozialen Netzwerk Twitter noch abfällig über »Fetzenliteratur« wie es der Rechtschreibrats-Chef Hans Zehetmair einst vor fünf Jahren tat. Aktuell bekommt der Kurnachrichtendienst sogar fast schon traurige Berühmtheit durch einen amerikanischen Präsidenten, der diesen abseits aller tradierten Kanäle für seine Verlautbarungen nutzt. Zwischen diesen beiden Polen hatten sich vor einigen Jahren auch die deutschen Buchverlage positioniert, mit »Twinterviews« (Autoren-Live-Interviews), Wettbewerben der lustigsten Art und vielen anderen bunten Aktionen. Aber seit einigen Jahren ist es still geworden um die Verlage. Außer Spesen nichts gewesen? Wer ist heute noch aktiv?

Interessanterweise haben Bibliotheken und Büchereien den blauen Vogel für sich entdeckt und sind tatsächlich auch sehr rege. Eine dieser Initiativen ist #BIBChatDE, eine auf Twitter öffentlich stattfindende Debatte zu festgelegten Themen: »Über bibliotheks- und informationspraktisches Tun soll hier aufmerksam gemacht, interdisziplinäres Netzwerken durch überregionale Kontakte unterstützt werden und Projekte multiperspektivisch, konstruktiv, aber auch kontrovers im öffentlichen Raum diskutiert werden.«, so jedenfalls ist es auf der Projektwebsite nachzulesen.

Organisiert wird der #BIBChatDE von Marlene Neumann (Verantwortliche für Bibliotheksentwicklung, Qualitätsmanagement und digitale Medien in der Erlanger Stadtbibliothek), Tanja Erdmenger (Lektorin bei der Münchner Stadtbibliothek), Stephan Schwering (Leiter der Zentralbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf) und Dirk Ehlen (Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken in NRW): »#BIBChatDE ist ein Twitterchat zu Themen, die die Bibliothekswelt aktuell bewegen. Unter dem TwitterAccount @BIBChatDE  tauschen wir uns einmal monatlich – am jeweils ersten Montagabend von 20-21 Uhr  – aus. Über was diskutiert wird, bestimmen die interessierten Twitterer selbst in einem Voting, das etwa zwei Wochen davor gestartet wird. Vier bis fünf Themen stehen zur Auswahl und über das Thema mit den meisten Faves (entspricht den Likes bei Facebook) wird dann eine Stunde lang auf Twitter diskutiert. Jeweils zwei von uns moderieren den Abend und bereiten einige Unterfragen zum Thema vor. Der erste #BIBchatDE, mit dem wir ein breites Publikum neugierig machen und anziehen wollten, startete sehr niedrigschwellig mit dem Thema ›Wozu noch Bibliotheken, es gibt doch Google‹.«

Und weiter: »Ziel von BibChatDE ist, nicht nur in direkten Kontakt mit Fachkolleg*innen zu treten, wie dies bereits an vielen anderen Stellen erfolgt.  Wir wollen die deutlich höhere Reichweite von Twitter dazu nutzen, Bibliotheksinhalte und gesellschaftsrelevante Themen, auf die Bibliotheken reagieren möchten, einem breiteren Publikum bekannt zu machen und im öffentlichen Raum zu diskutieren. Damit sind auch unsere Nutzer*innen gemeint und wir freuen uns immer sehr, wenn diese sich in die Runde einbringen und uns ihre Sicht auf die Bibliothekswelt nahe und uns zum Nachdenken bringen. Hier hat es schon einige interessante Anregungen gegeben bzw. auch die ein oder andere Frage konnte auf diesem Weg geklärt werden. Das Verständnis füreinander kann auch über BibChat befördert werden. Ein weiterer Aspekt ist das interdisziplinäre Netzwerken, das in einem Twitterchat durch überregionale Kontakte unterstützt werden kann. Natürlich können wir die Themen nicht in aller Tiefe ausschöpfend diskutieren. Wir können aber sehr wohl Impulse für Diskussionen setzen und Menschen mit ähnlichen Fragen und Interessen zusammenbringen und über den BibChat neue Kooperationen anbahnen oder ausbauen«.

Auch Zeitungsverlage sind sehr aktiv. Zum einen kommt diesen natürlich ein »Kurznachrichtenkanal« schon formal sehr entgegen. Aber auch hier spielt das kommunikative Element eine große Rolle, wie etwa Dirk von Gehlen, Autor und Journalist, betont. Bei der Süddeutschen Zeitung leitet er die Abteilung Social Media/Innovation und hat das Longread-Format #langstrecke initiiert: »Das hochwertige Print-Magazin, das die besten langen Lesestücke der SZ bündelt, hat auf den ersten Blick wenig zu tun mit dem Kurznachrichtendienst Twitter. Doch seit dem Start von Langstrecke wird das Projekt von einem Hashtag begleitet. Unter dem Schlagwort #langstrecke weist die Redaktion auf lesenswerte Longreads hin. Auch immer mehr Leser und andere Medien nutzen das Schlagwort, um auf diese besonderen Texte hinzuweisen, die im Angelsächsischen Longreads heißen. Man kann sie im gleichnamigen Magazin lesen – oder unter dem Hashtag #langstrecke Empfehlungen aussprechen und spannende Entdeckungen machen.«

Aber nach aktiven Buchverlagen muss man länger suchen – aktiv meint, Twitter nicht nur als Neuerscheinungsschleuder zu benutzen. Einige wenige wie der Gmeiner Verlag oder Duden sind die löbliche Ausnahme von der Regel. Mathias Voigt ist Geschäftsführer der PR-Agentur Literaturtest, die den Twitteraccount des Duden Verlags @Dudenverlag betreut: »Twitter ist mit seinen vielen sprachaffinen Nutzern ein immens wichtiger Kanal für den Duden Verlag. Neben den ›ganz normalen‹ Followern erreichen wir für das Kernthema Sprache hier auch die Buchhändler, die Bibliothekare, die Journalisten etc. Wir sehen bei Twitter eine gute Möglichkeit, den Verlag auf eine eher lockere Art zu präsentieren, dabei aber gleichzeitig den Markenkern zu stützen. Die erfolgreichsten Tweets widmen sich eher ›weicheren‹ Themen und enthalten nicht so sehr die ›knallharten‹ Werbebotschaften. Natürlich weisen wir immer wieder auf die neuen Produkte hin. Das wird von den Followern auch goutiert. Noch lebendiger wird es aber dann, wenn wir zu Kommunikation und Interaktion einladen.«

Twitter besitzt dieselben Eigenschaften wie alle anderen Netzwerke auch – der Aufbau von Reichweite dauert und erfordert beharrliches Arbeiten. Aber nach dem Quasi-Ende von Google+ ist es noch eines der, um es salopp zu formulieren, »ernsthafteren« Kanäle, auf dem nicht nur Katzenbilder große Reichweiten erreichen und Shitstorms eher selten sind. Vielleicht ist Twitter doch mal wieder einen Versuch wert?

Die kompletten Interviews und Artikel zum Themenschwerpunkt »Twitter und Verlage« sind in der neuesten Ausgabe des »digital publishing report« nachzulesen. Anläßlich der bevorstehenden Buchmesse gibt es einen umfassenden Vernastaltungskalender für "Digitale Menschen". Weitere Themen sind PrintCSS, Facebook Advertising, die Übermacht der GAFAs (Google, Apple, Facebook, Amazon), Aktuelles vom eBookAward, Unternehmensblogs und vieles mehr. Das digitale Magazin ist kostenlos erhältlich. Einfach E-Mail an info@digital-publishing-report.de schicken, fertig.