Vertriebs- und Marketingideen aus anderen Branchen

Bauknecht wusste es nicht

18. Januar 2018
von Börsenblatt
Was können sich Verlage für ihren Vertrieb und ihr Marketing von anderen Wirtschaftszweigen abgucken? Stefanie Karkheck wirft einen doppelten Blick auf die Buchbranche – von innen und von außen.

50 Jahre lang hat ein Waschmaschinenhersteller behauptet: "Bauknecht weiß, was Frauen wünschen." ­Gestimmt hat das wohl nie. Dafür brauchte es erst Amazon, Google und Facebook. Diese Firmen wissen so viel über uns, weil sie täglich mit uns Marktforschung betreiben. Amazon weiß, welche Bücher wir schätzen, ob wir vor dem Kauf Rezensionen lesen und, wenn wir auf dem Kindle lesen, an welcher Stelle wir ein Buch abbrechen. Facebook weiß, welche Nachrichten uns interessieren. Google weiß, welche Wege wir nehmen, wo wir unser Auto parken und welche Fragen uns beschäftigen. Ist das schlimm? Vielleicht. Andererseits kennen uns diese Unternehmen so genau, dass sie uns maßgeschneiderte, verführerische Angebote machen. Und so als Kunden an sich binden.

In der Buchbranche steckt Marktforschung an vielen Stellen noch in den Kinderschuhen. Es zählt das Bauchgefühl. Die Mitarbeiter dieser Branche sind selbst Buchliebhaber. Und so glauben sie, "den Leser" zu kennen. Dabei sind Leser so unterschiedlich wie ihre Lesemotivationen. Sie wollen unterhalten werden, sich ein Thema erschließen, mitreden, den Partner beeindrucken, entspannen oder Fachwissen vertiefen.
Natürlich verhindert intensive Marktforschung keine Bauchlandung. Produkt-Flops wie Tempo-Toilettenpapier, grüner Heinz-Ketchup und Harley-Davidson-Parfüm zeigen dies. Aber sie hilft zu erkennen, was die eigenen Kunden umtreibt. Und zwar immer wieder aufs Neue. Denn unsere Bedürfnisse und Lebensumstände ändern sich so schnell wie nie zuvor.

Ich war viele Jahre in der Mietwagenbranche tätig. Noch vor 20 Jahren haben die meisten Kunden ein Auto für eine Geschäfts- oder Urlaubsreise gebucht. Inzwischen gibt es eine völlig neue Zielgruppe: Menschen, die auf ihr eigenes Auto verzichten und nur eines bei Bedarf mieten – für den Ausflug oder den Großeinkauf bei Ikea. Oder sie nehmen sich spontan einen Carsharing-Stadtflitzer wie car2go, wenn es anfängt zu regnen.

So wie sich unsere Mobilität verändert, ändert sich unser Konsum von Literatur und Unterhaltung. Ohne den Brockhaus ist früher kein Schulreferat entstanden. Heute heißen ­unsere Lexika Google oder Wikipedia. Filme kommen um 20.15 Uhr? Gibt es heute jederzeit auf Abruf im Zug, im Bus oder im Café. Das Smartphone, mit dem wir unsere gesamte Bibliothek ­herumtragen können, gibt es gerade einmal zehn Jahre.

Was sind heute die Bedürfnisse, die nur ein Buch befriedigen kann? Marktforschung zu betreiben bedeutet nicht, sich sklavisch dem Geschmack der Befragten zu unterwerfen und nur noch die Bücher zu publizieren und zu verkaufen, die dem Mehrheitsurteil entsprechen. Verlage müssen den Mut behalten, auf ihr eigenes Urteil zu vertrauen. Und Bücher publizieren, die vielleicht unbequem sind und bei Menschen anecken. Es geht vielmehr darum, zu verstehen, wer die Leser sind und aus welcher Motivation heraus sie lesen. Und darauf zu reagieren: bei der Programmgestaltung, kreativen Kommunikationsangeboten zwischen Lesern, Verlag, Handel und Autoren, bei der Frage, wie der Leser Literatur entdeckt, in welcher Form er sie rezipieren und wo er sie kaufen möchte.

Märkte verändern sich, und Kunden entscheiden sich für das Angebot, das am besten zu ihren Bedürfnissen passt. Wer langfristig erfolgreich mitspielen möchte, muss diese Bedürfnisse kennen und bedienen. Und nicht so tun, als ob. Bauknecht hat jedenfalls 1982 Insolvenz angemeldet und wurde dann aufgekauft.

 

Stefanie Karkheck hat Marketing-Erfahrung in verschiedenen Branchen gesammelt. Mit ihrer Agentur Hickory Tree berät sie heute auch Kunden der Buchbranche.