Von "Distanzierung", wie in zahlreichen Medien gemeldet, könne keine Rede sein, so Suhrkamp-Pressechefin Tanja Postpischil: "Es gibt von uns keine Distanzierung. Uwe Tellkamp ist unser Autor". Es gebe nur einen Satz, der im Grunde eine Selbstverständlichkeit sei: "Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln." Dieser Satz deckt sich mit der Twitter-Botschaft.
Der Verlag gibt damit zum Ausdruck, dass er nicht die Haltung teile, die sich in den Äußerungen Uwe Tellkamps zur Flüchtlingsproblematik und zu einer drohenden "Gesinnungsdiktatur" in Deutschland manifestiere. Wäre dies nicht ein notwendiger Akt der Klarstellung und des Abrückens, hätte der Verlag keinen Tweet veröffentlichen müssen. Zeitpunkt und Anlass der Äußerungen Tellkamps im Zwiegespräch mit Suhrkamp-Autor Durs Grünbein waren aber die unmittelbare Ursache.
Wie unter anderen die "Sächsische Zeitung" meldet, habe Uwe Tellkamp am Donnerstag im Dresdner Kulturpalast vor einer "Gesinnungsdiktatur" gewarnt und beklagt, dass in Deutschland die Meinungsfreiheit ausgehöhlt werde. Uwe Tellkamp, einer der Erstunterzeichner der sogenannten "Charta 2017", und der ebenfalls aus Dresden stammende Dichter Durs Grünbein hatten sich laut Zeitung "einen verbalen Schlagabtausch um die Flüchtlingspolitik und Meinungsfreiheit geliefert", bei dem Tellkamp unter anderem sagte: "Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent."
Anlass für die Diskussionsveranstaltung waren die Ereignisse der Frankfurter Buchmesse 2017 und der Appell "Charta 2017" gegen eine drohende "Gesinnungsdiktatur", den die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen (Buchhaus Loschwitz) im Anschluss an die Messe initiiert hatte.
Da es keine Notwendigkeit gibt, öffentlich eine (beliebige) Meinung zu bewerten, hat es einen Grund, es dennoch zu tun. Sich genötigt zu sehen, sich öffentlich auf die "richtige" Seite des Zaunes von polarisierten Haltungen zu stellen, ist nichts anderes als eine Unterwerfung unter die Marktkräfte eines Gesinnungsterrors, dient nicht etwas dem Anliegen, auch nicht einem "inneren Drang", sondern ist der selbst ganz eigenständig vollzogene Gesinnungsterror.
Ganz ohne Bezug zum "eigenen" Autor kann sich der Verlag zur Sache erklären , und jeder hätte bemerkt, der Verlag schätzt die Bücher dieses Autors, nicht aber dessen persönliche Haltung zu dieser Sachfrage. Auch ganz intern hätte der Verlag seinem Autor sagen können, dass er in Sache x ganz anderer Ansicht ist.
Meinungsfreiheit ist eben jene Haltung, einem anderen die Freiheit zu schützen, eine sogar verhaßte Meinung zu haben. Und diese Freiheit hat der Verlag für den
Autor und sich selbst beschädigt.
Weil die simple Erklärung, Haltungen müssten nicht übereinstimmen, mit dem Hinweis auf eine konkrete Haltung eben doch nur eine Distanzierung ist, keine Selbsterklärung, sondern nur eine Abgrenzung. Irgendwer steht also auf der falschen Seite. Und was falsch sei, dem braucht man keine Argumente oder Auseinandersetzung oder Differenzierungen zuzubilligen. Falsch ist eben sowieso einfach nur falsch.
Ein wahrlich trauriges Kapitel in der Verlagsgeschichte.
Die Zivilgesellschaft ist so frei, NEIN dazu zu sagen und JA zur Weiterentwicklung bestehender konstruktiver Ansätze.
Gerade, weil in der engeren Welt mit komplexeren Prozessen und ohne Entspannungsrefugium alles so unerklärbar kompliziert ist, vom gesunden Brot bis zur Klospülung, ist der Hang zur Simplifizierung und Generalisierung so verlockend einerseits auch so zwingend. (Wer mag schon lange und pedantische Erläuterungen?)
Wenn man aber vom Geäst der Kausalitäten und der wechselseitigen Beeinflussung von Gegensätzen und Schieflagen absieht und "klare" Position zeigen will, kann man schnell in sehr abstrakten polaren Haltungen landen, die nur unsinnige Gegensätze auf Podeste stellt. Dann weiß jeder, was "richtig" ist, aber niemand, wie man dies denn nun ganz praktisch realisiert.
Ohne Material kein Hausbau und wer Saatgut verfrißt, wird keine neue Ernte haben!
Das Zukunftsweisende an sich scheinbar ausschließenden konträren Haltungen besteht doch genau darin, dass es sie gibt und warum es sie gibt. Weiß man dies, kann man Zukunft auch gestalten und nicht nur ertragen. Und deshalb braucht es nicht nur Auseinandersetzung, sondern zusätzlich sogar echtes Interesse. Das ist sogar erheblich mehr als nur dümmliche oder gleichgültigeToleranz, denn Gestalten kann man nicht durch Nichtstun, Ignorieren und Abweisen.
Wenn keiner mehr da ist, der das Richtige tut, dann wird irgendwer das Nächstliegende tun oder das Vorteilhafteste oder das scheinbar Notwendige. dann erübrigen sich alle Prinzipien und Haltungen recht schnell...