Helmut Rötzsch war der Sohn eines Eisenbahnarbeiters in Leipzig. Er machte zunächst eine Ausbildung zum Buchhändler bei Koehler & Volckmar in Leipzig, ab 1945 gemeinsam mit Jürgen Voerster, dem späteren Chef des Hauses Koehler & Volckmar.
Von 1942 bis 1945 war Rötzsch Soldat der Wehrmacht und bis 1946 in Kriegsgefangenschaft. 1946 trat er in die SED ein, studierte an der Universität Leipzig und wurde Diplom-Gesellschaftswissenschaftler, ab 1950 bei der Deutschen Bücherei zunächst als Kaderleiter, dann ab 1953 als Stellvertretender Hauptdirektor.
1961 wurde er als Nachfolger von Curt Fleischhack zunächst Hauptdirektor, ein Titel, der später in Generaldirektor umgewandelt wurde; Rötzsch blieb dies bis 1991. Aufgrund der besonderen Stellung der Deutschen Bücherei als Gesamtarchiv des deutschsprachigen Schrifttums baute er enge Kontakte sowohl zum Börsenverein in Frankfurt/Main wie zu der Deutschen Bibliothek und zu den Verlegern aus der Bundesrepublik auf.
Von 1953 bis in die 90er Jahre war er regelmäßiger Gast auf der Frankfurter Buchmesse und hatte dabei die besten Kontakte zu den Ausstellern aus der Bundesrepublik. Er hat viele Verlage unterstützt, und in zahlreichen Fällen war es nur durch seine Mitwirkung möglich, dass Verlage beispielsweise historisch retrospektive Verlagsbibliographien erstellen konnten oder Reprintvorlagen bekamen für notwendige Nachdrucke und vieles mehr. Sein Kontakt zu Günther Pflug und Klaus-Dieter Lehmann, den Generaldirektoren der Deutschen Bibliothek in den 70er und 80er Jahren, war bestens.
1991, im Alter von 68 Jahren wurde Rötzsch als Generaldirektor verabschiedet im Rahmen einer geradezu denkwürdigen Veranstaltung in der Deutschen Bücherei. Klaus-Dieter Lehmann, gewissermaßen sein Nachfolger als nun Generaldirektor der Gesamtdeutschen Bücherei und Deutschen Bibliothek, machte deutlich, welch große Leistungen Helmut Rötzsch vollbracht hat indem er die Bausubstanz der Deutschen Bücherei in Leipzig erhalten hat; indem er eine liberale Ausleihpolitik ermöglichte, die in keiner anderen Bibliothek in der DDR auch nur denkbar gewesen wäre; indem er zahlreichen Mitarbeitern, die nicht in der Partei waren, Westreisen und Westkontakte ermöglichte. Zu DDR-Zeiten war er immer Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig und Herausgeber der einzigen großen Schriftenreihe, die zur Buchgeschichte in der DDR erschien. Ab 1991 wurde er Korrespondierendes Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Frankfurt und blieb dies bis zu seinem Tode.
1962 wurde ihm im Rahmen des 80-Jahres-Jubiläums der Deutschen Bücherei die Plakette "Dem Förderer des deutschen Buches" überreicht. Der deutsche Buchhandel und das gesamte Bibliothekswesen haben Helmut Rötzsch Vieles zu verdanken.
das Verhältnis von Professor Rötzsch zu den historischen Umständen seiner Zeit war sicherlich vielschichtiger, als Sie es beschreiben. Ihr Nachruf legt durch Auslassung nahe, Professor Rötzsch hätte sich jenseits der menschenverachtenden Mechanismen des DDR-Staates durch sein Berufsleben bewegt. Ich denke, Ihr Nachruf hätte zumindest die Rolle von Professor Rötzsch auch als IM der Staatssicherheit erwähnen müssen.
Diese Anmerkung soll nicht die von Ihnen herausgestellten Verdienste von Professor Rötzsch schmälern. Allerdings irritiert mich die Einseitigkeit, mit der Sie Geschichte schreiben, und die kommenden Generationen, die vielleicht aus Geschichte lernen möchten, nicht hilft.
Als ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Nationalbibliothek habe ich im Zuge der Erarbeitung einer Publikation zum 100-Jahr-Jubiläum der DNB Gespräche mit Professor Rötzsch zur Geschichte der Institution und über sein Leben geführt.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Horn
auch wenn Sie eine DNB-Publikation erarbeitet und Gespräche mit Prof. Rötzsch geführt haben, kennen Sie ihn nicht wirklich, sonst hätten Sie sich diesen Kommentar verkniffen.
In dieser exponierten Position (Prof. Rötzsch war einer der wenigen Generaldirektoren, die direkt an den Kulturminister berichten mussten) waren IM-Verflechtungen nicht außergewöhnlich. Entscheidend ist jedoch, was Prof. Rötzsch daraus gemacht hat: Entgegen der Forderungen und Gepflogenheiten der Stasi und der SED setzte er Bibliotheksmitarbeiter nach ihren Fähigkeiten und nicht ihrem Parteibuch ein und hielt an Mitarbeitern auch dann fest, wenn ihre Kinder Republikflucht begingen oder dabei scheiterten. Als es nach 1990 möglich wurde, die Stasiakten einzusehen, gab es keinen Mitarbeiter, der sich über eine Bespitzelung durch Prof. Rötzsch beklagen musste.
Dieter Kleeberg, Sohn eines ehemaligen wissenschaftlichen Sachkatalog-Mitarbeiters, der kein SED-Parteibuch hatte