"Das Lesen von Büchern boomt in allen Altersgruppen" – "Nur noch 54 Prozent aller privaten Haushalte in Deutschland haben im Jahr 2017 Bücher gekauft". Mit diesen doch sehr unterschiedlichen Aussagen sind in den vergangenen Tagen zwei Umfrageergebnisse zur Lage auf dem Buchmarkt publiziert und hier auf boersenblatt.net veröffentlicht worden: einmal vom Beratungsunternehmen Deloitte, einmal vom statistischen Bundesamt Destatis. Die Erhebung von Destatis geht in den Aussagen konform mit der GfK-Studie des Börsenvereins, die dem Buchmarkt bekanntermaßen abtrünnige Leser bescheinigt. Die Deloitte-Studie hingegen zeichnet ein positives Bild der Lage. Wie kommt es dazu, dass zwei als repräsentativ ausgewiesene Untersuchungen so verschieden ausfallen?
Ein Blick auf die Art der Befragung und die Stichprobe zeigt, wie Unterschiede entstehen: Destatis generiert seine Zahlen aus den sogenannten laufenden Wirtschaftsrechnungen. Repräsentativ ausgewählte private Haushalte führen über das Jahr ein Haushaltsbuch, in das sie ihre Angaben zu Einnahmen und Ausgaben eintragen. Jeweils ein Viertel der Haushalte hält dabei für drei aufeinander folgende Monate seine "Anschreibungen" ("Quartalsanschreibung") fest. Der Stichprobenumfang für das Erhebungsjahr umfasst insgesamt 8.000 Haushalte. Weil die Einkäufe schriftlich erfasst werden, sind die Kaufbewegungen gut nachvollziehbar. Die Konsumenten müssen sich nicht auf ihr Gedächtnis oder ihr Gefühl verlassen, wenn es darum geht, Käufe zu belegen.
Anders ist das bei Online-Umfragen. Deloitte hat für seine Umfrage online 2.000 Personen zwischen 14 und 75 Jahren befragt. Meist ist bei solchen Erhebungen das Gedächtnis gefragt, schriftliche Aufzeichnungen existieren in der Regel nicht – und wer weiß schon genau, wie viele Bücher er innerhalb eines Jahres wirklich gekauft oder gelesen hat. Im Zweifelsfall werden dann eher höhere Zahlen genannt. Die Folge: Bessere Ergebnisse, als die Realität sie erwarten ließe. Das passt auch zusammen mit dem Phänomen der sozialen Erwünschtheit. Üblicherweise geben die Befragten bevorzugt Antworten, von denen sie hoffen, dass sie den sozialen Erwartungen und Normen entsprechen. Mehr Bücher gelesen zu haben, macht sich einfach besser.
Hinzu kommt der unterschiedliche Zeitraum der Befragung. Destatis hat die Entwicklung nur bis zum Jahr 2017 betrachtet – ausgehend vom Jahr 2007. Mögliche positive Tendenzen des laufenden Jahres konnten daher nicht einfließen. Bei Deloitte fand die Befragung erst im Sommer dieses Jahres statt, so dass die Ergebnisse auch die ersten Monate 2018 umfassen. Vergleichsgröße ist hier das Jahr 2016.
Also: Auch "repräsentativ" ist relativ - und der gesunde Menschenverstand hilft bei der richtigen Bewertung einer Befragung.
Auch ich war verwundert über die gegensätzlichen Aussagen und hatte bei der einen Studie soziale Erwünschtheit im Verdacht.
Warum muss das ein Widerspruch sein? Meine halbwüchsigen Söhne kaufen keine Bücher, lesen aber viel online: Fachzeitschriften, Nachrichten, etc. Belletristik haben die überhaupt nicht auf dem Radar, sondern nur Fachlektüre.
Ich kaufe auch keine Bücher mehr, sondern leihe sie aus öffentlichen Bibliotheken, da ich Belletristik liebe. Aber ich kann es mir nicht leisten, alle Bücher, die mich interessieren, zu kaufen. Mich hat immer schon interessiert, ob bei den vielen Untersuchungen zu diesem Thema eigentlich die Entleihungen in den öffentlichen Bibliotheken erfasst werden? Wäre doch interessant!