Friedenspreis für Margaret Atwood - ein Porträt

Mit heiter-sarkastischem Blick durch finsterste Szenarien

13. Juni 2017
von Börsenblatt
Twittern für die Bienen, schreiben gegen den Weltuntergang: Die Kanadierin Margaret Atwood ist eine nimmermüde Wortführerin gegen die Übel dieser Welt. Am 15. Oktober wird sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Ein Porträt.

Es ist schon ein auffälliges Zusammentreffen, wenn nur wenige Wochen, nachdem Donald Trump verkündet hatte, sich aus dem Pariser Abkommen zum Weltklimaschutz zurückziehen zu wollen, Margaret Atwood mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird. Aber sagen wir so: Es trifft auf jeden Fall die Richtige (die Begründung des Stiftungsrats und eine Übersicht über die lieferbaren Titel finden Sie hier).

Wenn es einen kritischen Geist gibt, der sich in globaler Perspektive mit den Übeln unserer Welt – autoritäre Gesellschaftssysteme, patriarchale Unterdrückungsstrukturen, menschengemachte Umweltzerstörung – auseinandersetzt und die Kritik an all diesen Missständen auch noch mit leichter Hand in literarische Form zu gießen versteht, so ist es diese kanadische Autorin.

Sie ist nunmehr 77 Jahre alt – und offenbar kein bisschen müde, sondern von atemberaubender Produktivität. Zwei Romane sind dieses Jahr in deutscher Übersetzung herausgekommen, letztes Jahr ein Band mit Kurzgeschichten. Bisher nur in der Originalsprache zugänglich ist Margaret Atwoods erste Graphic Novel "Angel Catbird", deren erste zwei Bände gerade, im Herbst und Frühjahr, in den USA erschienen sind: ein Experiment, ebenso wie der Roman "Scribbler Moon", den die Autorin in aller Verschwiegenheit verfasst und vor zwei Jahren dem "Future Library"-Projekt in Norwegen zur freundlichen 100-jährigen Verwahrung übergeben hat. Erst im Jahr 2114, das zumindest ist der Plan, werden die dort aufbewahrten Werke veröffentlicht.

Eine spezielle Art von Humor

Auch auf Twitter ist Margaret Atwood – mit derzeit 1,63 Millionen Followern – weit vorn mit dabei. Sie pflegt ihren Account intensiv und füllt ihn mit einer bunten Mischung aus Literarischem, Ornithologischem und Umweltpolitik. Es sei ein bisschen so, als habe man eine kleine Radiosendung, sagte sie einmal im Interview über Twitter.

Einer ihrer jüngsten Retweets zeigt die primitiv animierte, kindlich naive Zeichnung einer Biene, umrahmt von dem Slogan "Bees are our Friends". Sie meint so etwas, rein inhaltlich, durchaus sehr ernst. Aber die Dame hat auch eine spezielle Art von Humor.

Wie man es schafft, dass einem angesichts des Zustands der Welt der Sinn für das Komische nicht vergeht, dafür lässt sich auf jeden Fall bei Margaret Atwood wunderbar Inspiration einholen. Ihre beiden aktuellen Romane, so verschieden sie in Inhalt und Zielsetzung sein mögen, haben doch vieles gemeinsam – darunter auch einen manchmal geradezu übermütig durchschlagenden Hang zu deftiger Komik.

Literatur zwischen Dystopie und Satire

Im Falle von "­Hexensaat" (Knaus), einer verspielten Metaversion des Shakespeare-Dramas "Der Sturm", liegt diese Ingredienz sozusagen in der Natur der Sache. Der Roman "Das Herz kommt zuletzt" (Berlin Verlag) wiederum ist beinahe exemplarisch zwischen den beiden Polen aufgespannt, die Atwoods Werk insgesamt definieren: auf der einen Seite die bedrohliche dystopische Vision, die ins Düstere fortgesponnene Version der Welt, wie wir sie kennen. Auf der anderen Seite dieser unbestechlich klare, sarkastisch-heitere Blick auf die kleinen Momente des Lächerlichen noch im finstersten Szenario.

In "Das Herz kommt zuletzt" bricht sich dieser Hang zum Ausstellen des Komischen auf besonders deutliche Weise Bahn. Während der erste Teil des Romans das düstere Bild eines totalitären, menschenverachtenden Gesellschaftssystems entwirft, überrascht der zweite Teil mit einer schrillen Satire auf Auswüchse der amerikanischen Populärkultur.

Dass Margaret Atwood derzeit ganz besonders hoch im Kurs steht bei der kritischen amerikanischen Öffentlichkeit, ist – ein wenig ironischerweise – das Verdienst gerade der Massen-Popularisierung eines gut abgehangenen Romanstoffs: ­Atwoods bekanntester, 1985 erschienener Roman "The Handmaid’s Tale" ("Der Report der Magd", 1987) erlebt derzeit dank der gleichnamigen, hochgelobten, seit April auf diversen Streaming-Diensten und Sendern angelaufenen Serie so etwas wie einen zweiten Frühling (ist aber bisher nur in den englischsprachigen Ländern und Skandinavien zugänglich).

Die Autorin selbst hat einen Cameo-Auftritt in dieser zweiten filmischen Adaption ihres Romans. Unter dem Titel "Die Geschichte der Dienerin" hatte Volker Schlöndorff den Stoff 1990 auf die Leinwand gebracht. Atwood hatte die Geschichte über einen theokratisch-patriarchal organisierten Überwachungsstaat, in dem Frauen als Gebärmaschinen missbraucht werden, während eines Stipendienaufenthalts im damaligen Westberlin geschrieben.

Trump-Land ist nicht weit von Gilead

Die Menschen in Ostberlin seien damals bei den Filmvorführungen besonders betroffen gewesen, da vieles darin sie an ihr eigenes Leben erinnert habe, blickt Atwood zurück. Heute, 30 Jahre später, erkennen viele US-amerikanische Zuschauer in der Serie immer noch beklemmende Bezüge zur aktuellen Gegenwart und fassen sie als anspielungsreiches Porträt real existierender amerikanischer Lebenswelten auf, vor allem in vielen Staaten des Mittleren Wes­tens. Trump-Land liegt nicht sehr weit entfernt von der Republik Gilead.

Dass Margaret Atwood, die ihre schriftstellerische Karriere als Lyrikerin begann (und nie aufgehört hat, Gedichte zu schreiben), seit ihren frühen Romanen, besonders dem "Report der Magd", vor allem als feministische Autorin wahrgenommen wurde, hat ihr beim Lesepublikum auch hierzulande eine große Anhängerschaft beschert, bei der deutschsprachigen Literaturkritik hingegen nicht unbedingt geholfen. Das liegt nicht allein daran, dass diese Kritikerschaft überwiegend männlichen Geschlechts ist, sondern auch an der hiesigen, deutlich engeren Auffassung von "Feminismus", die den Begriff als solchen bereits unter Ideologieverdacht zu stellen pflegt.

Wie der Mensch die Welt zerstört

Margaret Atwood ihrerseits hat in den großen Romanen des letzten Jahrzehnts vor allem ein anderes zentrales Themenfeld literarisch beackert. In ihrer Trilogie "Das Jahr der Flut" entwirft sie ein breit angelegtes Endzeit-Szenario, das auf die Zerstörung der Welt durch den Menschen folgt. Welcher Art die Katastrophe ist, durch die jene zerstörerische "große Flut" heraufbeschworen wurde, lassen die Romane offen. Möglicherweise werden unsere Nachkommen es irgendwann erfahren.