Frank Witzels Lieblingsbuchhandlung

Eine eigene Welt

25. Mai 2016
Redaktion Börsenblatt
Frank Witzel taucht bei jedem Besuch in Hamburg in die Kunst des Kunstdiskurses ein – bei Sautter + Lackmann.

Glücklicherweise bin ich nur einmal im Monat in Hamburg und wohne nicht dort, denn sonst würde es mich noch öfter zu Sautter + Lackmann treiben, um von dort regel­mäßig Bücher nach Hause zu schleppen, denn es gab bis jetzt keinen Hamburg-Aufenthalt, bei dem ich nicht bei Sautter + Lackmann war, und es gab keinen Besuch bei Sautter + Lackmann ohne den Kauf eines Buchs, in der Regel mehrerer Bücher. Wenn man, nicht weit entfernt von der Binnenalster, auf die Fleetinsel kommt und in die Admiralitätsstraße einbiegt, sieht man dort an der Ecke ein Schild mit dem Hinweis auf den Buchladen und dem Zusatz: 50 000 Bücher. Eine Buchhandlung, die tatsächlich vor Ort und nicht virtuell oder in einem Außenlager 50 000 Bücher bereitstellt? Kann das heute überhaupt noch möglich sein? ­Sautter + Lackmann macht es möglich, aber das ist nur ein ­Aspekt, der die Faszination dieses Ladens bestimmt.
Der Architekt Bernhard Winking, prägend für viele markante Gebäude Hamburgs, hat aus dem soliden Grundstock eines ehemaligen Lagerhauses für den Laden hohe und dennoch anheimelnde Räume entworfen, die in klarer Aufteilung auf einer Ebene mit kleinen Emporen und Seitenräumen die 50 000 Bände in einer gemütlichen Atmosphäre übersichtlich präsentieren. Schon die gediegene Holzverkleidung des Eingangs­bereichs signalisiert, dass man hier nicht ein der Funktionalität unter­geordnetes Geschäft betritt, sondern eine Buchhandlung, die ihr Sortiment über 25 Jahre an diesem Ort langsam entwickelt und aufgebaut hat; das Geschäft wurde 1970 gegründet und zog 1989 aus ­Eppendorf in die Admiralitätsstraße um.

Es fällt mir schwer, Sautter + Lackmann als eine Fachbuchhandlung zu bezeichnen, auch wenn es natürlich eine solche ist und den Schwerpunkt eindeutig auf ­Büchern aus dem Bereich der bildenden Kunst hat und allem, was auch nur im Entferntesten damit in Verbindung steht, also Architektur, Film, Fotografie, Grafik, Design oder Mode. So gibt es eine schier unendlich lange Wand, die bis unter die ­Decke mit alphabetisch geordneten Künstlermonografien gefüllt ist. Hier wird auffällig, dass es nicht allein aktuelle Publikationen aus dem deutschsprachigen Raum sind, sondern sich thematisch ­geordnet Bücher aus der ganzen Welt, neben Deutschland vor allem aus dem angelsächsischen Raum, finden.
Vor den Künstlermonografien breitet sich auf mehreren niedrigeren Regalen und Tischen die Kunsttheorie bis zur ­anderen Wand aus. Nach Stilrichtungen, Motiven und Epochen bis in feinste Unterkategorien aufgegliedert, löst sich die Theorie von den konkreten Themen und weitet sich in die Bereiche von Philosophie, Soziologie und anderen Geisteswissenschaften aus. Die Verbindungen zur Kunst sind oft assoziativ und weisen deutlich die Handschrift des Ladenbesitzers ­Florian Sautter und seiner Mitarbeiter Hannes Konter, Jasper Lueg und Ann-Kristin Hohlfeld auf.
Zu diesem Konzept gehört es auch, dass Bücher über Jahre vorrätig gehalten werden und man, neben außergewöhnlichen Sonderangeboten, immer wieder längst Vergriffenes oder schwer Erhältliches neben aktuellen Neuerscheinungen in den Regalen entdecken kann. Die ruhige und freundliche Atmosphäre lässt Sautter + Lackmann zu einer letzten Insel des Buchhandels nicht nur in Hamburg werden. Ein Geschäft, in dem man die Zeit vergisst und völlig eintauchen kann in eine eigene Welt des Schaffens, Darstellens und Nachdenkens über Kunst mit all ihren Facetten.

Frank Witzel, geboren 1955 in Wiesbaden, lebt als Schriftsteller und Musiker in Offenbach. Sein vierter Roman, »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« (Matthes & Seitz), wurde im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet