Was hat Sie bewogen, den Vorsitz der WBG zu übernehmen?
Ernst Fischer: Die Gesellschaft stand aufgrund interner Querelen vor der Auflösung; ein neuer Vorstand wurde gesucht. Ich habe mich zur Verfügung gestellt, weil ich vor bald 15 Jahren eine kurze Geschichte der Wiener Bibliophilen-Gesellschaft geschrieben hatte (veröffentlicht in der Festschrift für Reinhard Wittmann und 2006 noch einmal abgedruckt in einer Jahresgabe der WBG) und nach meinem Empfinden daraus eine Art moralischer Verpflichtung entstanden ist, mich in dieser Situation zur Verfügung zu stellen. Dabei sollten auch die Erfahrungen hilfreich sein, die ich seit 2011 im Rahmen meiner Mitarbeit im Vorstand der Maximilian-Gesellschaft gesammelt habe.
Welche Aktivitäten hat die WBG in der Vergangenheit entfaltet?
Die Glanzzeiten der WBG liegen lange zurück: 1912 gegründet, zählte sie schon nach einem Jahr rund 400 Mitglieder, unter ihnen auch einen Stefan Zweig. Sie stand dann auch noch bis in die 1930er Jahre in Flor und war zum Beispiel 1928 Gastgeberin einer grandiosen Jahrestagung der deutschen Gesellschaft der Bibliophilen in Wien. Der "Anschluss" Österreichs an das "Dritte Reich" war auch für die WBG mit dem nicht wieder gutzumachenden Verlust der jüdischen Sammlerschaft verbunden. Nach 1945 konnte die Gesellschaft ihre Tätigkeit nur auf bescheidenerem Niveau fortsetzen; erst Mitte der 1960er Jahre wurde wieder ein Mitgliederstand von mehr als 250 erreicht. Bemerkenswert aber, dass die WBG 1962, nach 50 Jahren des Bestehens, darauf verweisen konnte, dass bis dahin tatsächlich 50 Jahresgaben erschienen waren! 1969 war die WBG Mitorganisatorin des VI. Internationalen Kongresses der Bibliophilen in Wien. Spätestens in den 1990er Jahren begann eine Zeit der Krisen und Revitalisierungsversuche; immerhin aber konnte die WBG 2012 ihr 100jähriges Bestandsjubiläum mit einem Festakt in der Österreichischen Nationalbibliothek begehen. Danach nahm die Aktivität der Gesellschaft laufend ab und versandete zuletzt ganz. Derzeit wird in Österreich wie überall die organisierte Bibliophilie vom Zeitgeist (noch) wenig begünstigt, man wird also die weitere Entwicklung der "WBG neu" nicht an früheren Verhältnissen messen dürfen. Aber natürlich stellt die Weiterführung der beachtlichen Tradition einen Auftrag dar.
Wie viele Mitglieder gehören der WBG an? Kommen die Mitglieder hauptsächlich aus Wien?
2016 umfasste das Mitgliederverzeichnis noch rund 65 Namen, darunter auch einige Bibliotheken. In der Tat sind es ganz überwiegend Wiener Adressen, aber es gibt hier kein Ausschlussprinzip. Im Gegenteil: Da in Österreich keine überregionale Bibliophilenvereinigung existiert, sind alle Buchliebhaber des Landes herzlich eingeladen, sich der WBG anzuschließen. Übrigens haben wir auch einige Mitglieder, die in Deutschland oder der Schweiz leben. Die Bücherstadt Wien ist schließlich immer eine Reise wert, und in Zukunft gilt das vielleicht auch für die eine oder andere unserer Veranstaltungen! Die auswärtigen Mitglieder werden sich zweifellos über unsere Jahresgaben freuen, die wir wieder gehaltvoll und ansprechend gestalten wollen. Alles in allem geht es uns aber nicht um eine Maximierung der Mitgliederzahl, sondern um eine Optimierung der Vereinsarbeit und darum, dass unsere Mitglieder von dieser Arbeit wirklich etwas haben.
Wen möchte die WBG mit ihrer Arbeit ansprechen?
Das Engagement des neuen Vorstands beruht auf der festen Überzeugung, dass es in einer Kulturstadt wie Wien mit bald zwei Millionen Einwohnern genügend viele Bücherliebhaber gibt, um eine bibliophile Gesellschaft nicht nur am Leben zu erhalten, sondern sie mittel- und längerfristig zu einem Ort gelebter Buchkultur auszugestalten. Die Kernzielgruppe stellen selbstverständlich die manischen Büchersammler dar (ja, ein Schuss Verrücktsein gehört dazu!), von denen es auch in Wien mehr gibt als man aufs Erste vermuten möchte – sie gehen ihrer Leidenschaft oft im Verborgenen nach. Intensives Sammeln ist aber nicht Bedingung: Die WBG möchte alle ansprechen, die eine tiefere Beziehung zum Medium Buch haben, auch wenn diese Beziehung mehr "platonischer" Natur ist. Es wäre wunderbar (und eine schöne, beflügelnde Zukunftsvision), wenn sich eine wiedererstarkte WBG zum Nervenpunkt eines über die ganze Stadt gespannten "Netzwerks für Buchkultur" entwickeln könnte.
Sind Kooperationen mit anderen Bibliophilengesellschaften vorgesehen?
Zunächst einmal wird eine Zusammenarbeit mit verwandten Einrichtungen in Wien angestrebt, zum Beispiel mit der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich oder mit der Wien-Bibliothek, deren Bestandsaufbau – damals noch als Wiener Stadt- und Landesbibliothek – hauptsächlich von Nachlässen und Sammlungen Wiener Bibliophilen gespeist worden ist. Sobald sich die WBG organisatorisch stabilisiert hat, sollen auch Kontakte zu Bibliophilengesellschaften in Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern angeknüpft beziehungsweise verstärkt werden. Gut möglich, dass wir auch einmal zu einem internationalen "Gespräch über die Bücherliebe" nach Wien einladen; Anlass und Stoff für einen solchen Austausch über die Grenzen hinweg gäbe es sicherlich genug!
Welche Vorhaben sind für 2019 geplant?
Im ersten Schritt geht es um eine Wiederherstellung der Grundfunktionen einer Bibliophilengesellschaft. Wie und auf welchen Veranstaltungsschienen wir uns das vorstellen, spiegelt sich bereits in unserem Programm für das erste Halbjahr 2019: Unter dem Motto "Wiens verborgene Bücherschätze" besuchen wir Sammlungen (zum Beispiel der Wiener Apothekerkammer), zu denen man als Einzelperson kaum Zutritt bekommt; in einer Vortragsreihe werden Experten Bücherwissen und Sammler-Knowhow vermitteln, wie es jeder Buch-Aficionado brauchen kann (erste Themen: Autographenfälschungen; Bücherpflege und Buchrestaurierung in Theorie und Praxis); außerdem finden alle zwei Monate im stimmungsvollen Ambiente eines Wiener Kaffeehauses "Treffpunkte für Buchliebhaber" statt, zum Erfahrungsaustausch und mit der Möglichkeit, anhand ausgewählter Beispiele oder auch Neuerwerbungen die eigenen Sammelinteressen vorzustellen. Darüber hinaus werden einmal im Jahr auch Tagesexkursionen zu bibliophilen "hot spots" in der näheren und weiteren Umgebung Wiens veranstaltet. Klar ist, dass wir von den spezifischen Stärken und Vorteilen einer örtlichen Vereinigung Gebrauch machen wollen, und diese liegen eben nicht nur in der Gelegenheit zum regelmäßigen Zusammentreffen der Mitglieder, sondern hier in Wien auch in einer an Schätzen unglaublich reichen Bücherlandschaft.
Fragen: Björn Biester
Informationen über die Wiener Bibliophilen-Gesellschaft siehe hier (dort auch ein Beitrittsformular)