Interview mit Vizekanzler Sigmar Gabriel

"Wir müssen Antworten finden"

6. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Wer im Internet nicht stattfindet, findet bald gar nicht mehr statt: Sagt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Ein Interview zur Lage der Buchbranche - im Vorfeld der Buchtage Berlin, bei denen der Vizekanzler als Redner zu Gast ist.

Sie kommen als Gastredner zu den Buchtagen Berlin: Gibt es etwas, was Sie Buchhändlern und Verlegern schon immer mal sagen wollten?
Sigmar Gabriel: Das Buch ist Kulturgut und prägendes Element unserer kulturellen Identität. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Vielfalt der Buchtitel und Vielzahl der Buchhandlungen zu erhalten. Durch den digitalen Wandel steht die Buchbranche seit einiger Zeit unter Druck. Als Wirtschaftsminister beobachte ich diese Entwicklungen sehr genau und setze mich dafür ein, dass die Buchbranche die nötige Unterstützung von der Politik erhält. Mit einem Gesetzentwurf vom April habe ich beispielsweise klargestellt, dass die Buchpreisbindung auch für E-Books gilt.

Wie kann die Buchbranche aus Ihrer Sicht den digitalen Wandel am besten bewältigen?
Sigmar Gabriel: Die Digitalisierung macht heute das Einkaufen so bequem wie nie zuvor. Mit ein paar Klicks erhält man Produkt- und Preisinformationen, kann ein Produkt zu jeder Zeit und von jedem Ort aus sofort kaufen. Durch Onlinevermarktung für Autorinnen und Autoren entstehen neue Kanäle für Selbstvermarktung und Direktvertrieb. Zudem steigt der Bedarf an professionellem Online­marketing und Vertriebsaktivitäten. Auf diese Entwicklungen müssen Buchhandel und Verleger Antworten finden. Obwohl nicht jede kleine Buchhandlung künftig zusätzlich einen Onlineshop benötigt, müssen auch kleine Händler beispielsweise im Netz Präsenz zeigen. Denn wer im Internet nicht stattfindet, findet bald gar nicht mehr statt.

Die Buchbranche fürchtet, das Freihandelsabkommen mit den USA, kurz TTIP, könnte die Preisbindung zu Fall bringen. Wie wollen Sie den Buchhandel vor diesem Risiko schützen?
Sigmar Gabriel: Derlei Befürchtungen höre ich leider immer wieder. Die Sorge ist aber vollständig unbegründet. Das Frei­handelsabkommen mit den USA gefährdet nicht den Schutz von kultureller und medialer Vielfalt und insbesondere auch nicht die Buchpreisbindung. TTIP zielt darauf, den Marktzugang bei bestimmten Dienstleistungen zu erleichtern und wird nicht allgemein geltende Gesetze in Deutschland und der EU infrage stellen. Die gesetzliche Buchpreisbindung gilt in Deutschland für alle Verleger und Händler, egal ob aus Deutschland oder anderen Staaten. Ich sage noch mal: Wir brauchen Absicherungen, wo es nötig ist. Berechtigte Sorgen nehmen wir ernst und gehen auf sie ein. Aber mit Hypothesen und diffusen Ängsten laufen wir Gefahr, dass mit TTIP ein Projekt scheitert, welches uns handfeste Vorteile bringt.

Buchhändler und Verleger freuen sich über die Gesetzesnovelle für E-Books. Wann dürfen sie sich denn endlich auch über den reduzierten Mehrwertsteuersatz auf digitale Bücher freuen?
Sigmar Gabriel: Bislang ist dies nach der europäischen Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie nicht zulässig. Wie bereits im Koalitions­vertrag vereinbart, setzt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür ein, dass auf E-Books, E-Paper und andere elektronische Informationsmedien künftig der ermäßigte Mehrwertsteuersatz Anwendung finden kann. Inzwischen gibt es erste, hoffnungsvolle Signale aus Brüssel. So hat Kommissionspräsident Jean-­Claude Juncker im Mai in Brüssel eine entsprechende Initiative für 2016 angekündigt. Wir bleiben hier am Ball.

Die Bundesregierung arbeitet an einer "Digitalen Agenda". Diskutiert wird eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht, die für viele Verlage existenzbedrohend sein könnte. Ist da nicht auch der Wirtschaftsminister gefragt?
Sigmar Gabriel: Die Einführung einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht ist im Koalitionsvertrag verabredet worden, um Lehrenden, Lernenden, Wissenschaftlern und Forschern besseren Zugang zu geschütztem Material zu ermöglichen. Bei der Erarbeitung konkreter gesetzlicher Regelungen wird der für das Urheberrecht zuständige Bundesjustizminister Heiko Maas einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Belangen von Wissenschaft, Forschung und Bildung und den Schutzinteressen von Urheberrechtsinhabern finden. Als Wirtschaftsminister werde ich diese Diskussion im Rahmen der Ressort­abstimmungen natürlich aktiv begleiten.

Im April haben Sie die Dialogplattform Einzelhandel gestartet. Muss die Politik mehr Gestaltungswillen zeigen, damit die Innenstädte durch Strukturwandel und E-Commerce nicht veröden?
Sigmar Gabriel: Der Einfluss des Onlinehandels auf die Städte ist schon heute messbar. Die Verbraucher fahren nach eigener Auskunft weniger häufig in die Innenstädte oder in die Versorgungszentren am Rande der Stadt. Und nur noch jeder dritte Bewohner ländlicher Regionen in Deutschland kann einen Supermarkt in fußläufiger Entfernung bis zu einem Kilometer erreichen. Die Verunsicherung bei den stationären Händlern und den Kommunen ist oftmals groß. Vor diesem Hintergrund haben wir die Dialogplattform Einzelhandel geschaffen. Nur wenn sich die Politik mit den Betroffenen zusammensetzt, können sie gemeinsam Lösungen und Perspektiven entwickeln, um sich den Herausforderungen der digitalen Zukunft zu stellen.

Wer sich der Digitalisierung verschließt, wird von ihr überrannt: Das haben Sie zum Start der Dialogplattform Einzelhandel deutlich gemacht. Ist der Buchhandel offen genug für digitale Zeiten?
Sigmar Gabriel: Unser jährlicher Monitoringbericht zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2013 zeigt, dass sich die Kennzahlen für den Buchmarkt verschlechtert haben. Die Zahl der Erwerbstätigen und der abhängig Beschäftigten lag 2013 knapp unterhalb des Niveaus von 2009. Der Umsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft erreichte 2013 einen geschätzten Wert von knapp 14 Milliarden Euro und hat sich daher im Vergleich zu 2012 weiter verschlechtert. Eine wichtige Aufgabe liegt darin, sich noch stärker den Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen. Der Monitoringbericht zeigt hier aber auch viele positive Tendenzen: Im Buchmarkt überführen 82 Prozent der Unternehmen traditionelle Produkte und Dienstleistungen in digitale Angebote. Eine wichtige Rolle spielt hier natürlich das E-Book. Im Gegensatz zu den meisten anderen Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft werden im Buchmarkt zudem vermehrt neue Erlös- und Bezahlmodelle eingesetzt.

Haben Sie einen Buchhändler, eine Buchhandlung Ihres Vertrauens?
Sigmar Gabriel: Ich stöbere sehr gern in Buchhandlungen und erkunde daher gern auch neue Buchhandlungen, gerade auch auf Reisen. Für die meisten Käufe – beispielsweise wenn ich schnell ein Geschenk suche – kehre ich aber zu meinen vertrauten Buchhandlungen vor Ort zurück. Da kenne ich mich aus, man kennt mich und kann mich entsprechend beraten.

Buchtage Berlin 2015

  • Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) ist Gastredner der 191. Hauptversammlung des Börsenvereins, die am Freitag, 19. Juni, im Rahmen der Buchtage Berlin im Berliner Congress Center stattfindet. Sein Thema: "Bücher haben Zukunft". Mehr zur Hauptversammlung hier und hier.
  • Die Eröffnung der Buchtage am 18. Juni (das ganze Programm hier) steht unter der Leitlinie "Für das Wort und die Freiheit". Keynote-Sprecher sind nach der Eröffnung durch Vorsteher Heinrich Riethmüller um 10 Uhr Klaus Brinkbäumer, Chefredakteur des "Spiegels", und Wilfried Huismann, Dokumentarfilmer und Autor des Buchs "Schwarzbuch WWF – Dunkle Geschäfte im Zeichen des Panda".
  • Um 11.45 Uhr schließen sich zehn Sessions an, zu Themen wie "Buy Local – Erfolg und Zukunft", "Metadatenbank: Die neue technische Infrastruktur des VLB", "Start-ups für den Buchhandel" oder "Zukunft_buch-stadt-2015+". Zehn weitere Sessions sowie der Startup-Club finden am Nachmittag statt.
  • Ab 16 Uhr kommen die Fachgruppenversammlungen zusammen, bei denen unter anderem die Neuwahl der Fachausschüsse auf dem Programm steht: für den Zwischenbuchhandel (16 Uhr), für das Sortiment (16.30 Uhr) sowie für die Verlage (16.30 Uhr). Ein Speeddating für Start-ups ist für 18 Uhr vorgesehen, und ab 19.30 Uhr startet das Mitgliederfest im Lokomotivschuppen@Natur-Park Südgelände.
  • Am ersten Tag der Buchtage (Mittwoch, 17. Juni) findet der Kongress für Digitales Publizieren, #akep15, statt – ebenfalls im Berliner Congress Center.