So will KNV die Mitte Deutschlands erobern

Kaizen auf Schwäbisch

25. Oktober 2013
Redaktion Börsenblatt
KNV / KNO VA bauen für über 150 Millionen ihr hochmodernes Medienlogistikzentrum in Erfurt. Bis 2015 werden 1.000 Mitarbeiter und Fachkräfte gesucht. Die Mitbewerber um Arbeitskräfte, Redcoon und Zalando, sind aber viel bekannter. Ein Ortsbesuch.

Der Taxifahrer findet den Weg zur KNV-Baustelle im Norden Erfurts nicht. Zu viele Straßensperren auf dem Weg in den Stadtteil Mittelhausen, eine vermeintliche Umleitung führt in die Sackgasse. Es ist ihm sichtbar unangenehm. Ob das auch am schwäbischen Dialekt auf der Rückbank liegt? Fürchtet er gar eine Reklamation der Fahrtkosten? 20 Euro vom Hauptbahnhof sagt der Taxameter. „Sachense dem Kolleschen beim nächsten Mal, er soll über die Magdeburger Allee fohrn“, rät er pragmatisch. Er bekommt zwei Euro Trinkgeld. Erleichtert braust er davon.

„Marktstudien gehen davon aus, dass die Umsatzentwicklung mit physischen Büchern in den nächsten Jahren leicht rückläufig ist, und wir wissen, dass die Erwartungen des Handels an seine Lieferanten anspruchsvoller werden“, sagt KNV-Einkaufsleiter Markus Fels.

Warum ist der Umzug notwendig?

KNV ist an den bisherigen Standorten in Stuttgart und Köln logistisch und räumlich an seine Grenzen gestoßen, es gibt keine freien Flächen mehr, um dem Handel ein erweitertes Artikelspektrum zu bieten. Auch die Technik ist nicht mehr die jüngste. Die neue Logistik in Erfurt ist nicht nur viel stärker automatisiert und daher weniger personalintensiv als die bisherige, sie macht neue Serviceleistungen möglich und soll fehlerfrei funktionieren.

Die KNV Unternehmensgruppe hat mit mehreren Bustouren für ihre Logistikmitarbeiter dafür geworben, mit nach Erfurt zu gehen. Bisher haben 90 Mitarbeiter ihr Interesse bekundet, berichtet Fels. Die Verwaltung wird in Stuttgart bleiben, vor wenigen Tagen hat die KNV Gruppe mitgeteilt, dass die Stuttgarter Immobilien mit einer Gesamtfläche von 80.000 Quadratmetern an einen Investor verkauft wurden. So wird man hier vom Eigentümer zum Mieter, die Verwaltung zieht dann erstmals gemeinsam in einen Bürokomplex, den der Investor erstellt.

In der neuen Heimat Erfurt wird Schluss sein mit den 16 verstreuten Gebäuden und Hallen der verschiedenen Unternehmensteile an vier Standorten. Auf dem Gelände im nördlichen Industriegebiet ist das Nachschublager direkt mit der Kernlogistik verbunden, derzeit kommen die Paletten noch aus dem gut 50 Kilometer entfernten Nachschublager in Haiterbach. Verlagsauslieferung und Barsortiment hatten bisher eine eigene Logistik und waren getrennt durch eine Straße. Ein Luxus, den man sich nicht mehr leisten möchte und der nicht den Vorstellungen der Kaizen-Philosophie entspricht, nach der sich die Unternehmensgruppe seit vielen Jahren ausrichtet. In Erfurt wird man einen Standort mit drei voll vernetzten Gebäuden betreiben, die durch mehr als 20 Kilometer Förderbänder verbunden sind.

Die Suche nach einer geeigneten Fläche war zeitaufwändig, die Verhandlungen zogen sich über ein Dreivierteljahr hin. „Nur eine Handvoll Kommunen können überhaupt geeignete Flächen anbieten. Wir sprechen immerhin von 315.000 Quadratmetern“, sagt der KNV-Einkaufsleiter. „Wir haben zahlreiche Angebote von Kommunen in der Mitte Deutschlands geprüft. Aufgrund der zentralen Lage, des direkten Autobahnanschlusses sowie der kompetenten Betreuung durch die Stadt Erfurt und das Land Thüringen haben wir uns für diesen Standort entschieden.“

Was bei der Ortsbegehung auffällt

Bebaut werden in Mittelhausen zunächst 175.000 Quadratmeter gegenüber von Globus, es stehen zudem ausreichend Rangierflächen für die LKW-Flotte und Parkmöglichkeiten für Mitarbeiter zur Verfügung.

Im Bedarfsfall können alle Gebäudeteile problemlos erweitert werden: Das automatische Hochregallager, der zweistöckige Fachbodenregalbereich, die beiden automatischen Kleinbehälterlager ebenso wie der PoD-Bereich oder das Frachtzentrum. Aus Erfurt kann theoretisch alles, was nicht „zappelt“ oder gekühlt werden muss, verschickt werden.

KNV beabsichtigt, in den nächsten Jahren sein Artikelspektrum von heute 500.000 auf 750.000 anwachsen zu lassen. Die gigantischen Hallen haben ein größeres Volumen als der Kölner Dom, sie sind ein Bekenntnis zum Buchmarkt in Beton und Stahl. „Das neue Logistikzentrum bietet uns größtmögliche Flexibilität“, fasst Bereichsleiterin Ulrike Alberts nach der imposanten Baustellenbegehung zusammen. Das letzte Mal war sie Ende August hier. Seitdem hat sich wieder viel getan. Ab 2014 werden die Kunden, die bisher ihre Ware vom Standort Köln erhalten haben, bereits aus Erfurt beliefert, 2015 alle Kunden in 70 Ländern.

Ran an die Mitarbeiter: Die KNV-Strategie

Beim Anblick der gigantischen Flächen der lokalen Mitbewerber (Die Post, Bundeswehr, das skandalumwitterte Zalando, Redcoon) und mit Blick auf die Seite des Thüringischen Verkehrsgewerbeverbands fragt man sich: Wo sollen eigentlich die 1.000 benötigten Arbeitskräfte herkommen?

„In der Buchbranche kennt jeder KNV/KNO VA , aber außerhalb der Branche stehen wir nicht im Licht der Öffentlichkeit“, erklärt Markus Fels. „Wir haben in Erfurt eine völlig neue Situation. Wir müssen uns als Unternehmensgruppe bekannt machen und innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre 1.000 Mitarbeiter für uns gewinnen.“ Aber wie will er an die benötigten Arbeitskräfte rankommen, wie die Konkurrenten ausstechen?

Eine der Ideen: Fußball. Als Sponsor des Drittligisten Rot-Weiß Erfurt kickten nicht nur die Fußballer am Dienstag auf der Baustelle um die Wette, auch Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig und Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein waren zu Gast. Die Presse war nicht zum ersten Mal vor Ort, machte Fotos und berichtete vom Event. Nach jedem Artikel in der Lokalzeitung gehen zahlreiche Bewerbungen ein, freut sich Fels. Und berichtet wird oft: Über Europas modernste Medienlogistik, die Suche nach Mitarbeitern, über die 20 Tonnen schweren Regalbediengeräte, die per Riesenkran durch die 36 Meter hohe Decke des bereits fertiggestellten Hochregallagers gewuchtet wurden. Auch die Fachpresse interessiert sich für das hochmoderne Logistikzentrum. Zur Pressekonferenz zum Baustart hatte der Wirtschaftsminister geladen.

Beim Employer Branding überlässt die KNV Gruppe nichts dem Zufall

KNV und KNO VA wirbt mit modernen Arbeitsplätzen. Die Unternehmensgruppe will

  •  beim Gehalt konkurrenzfähig sein
  • sich als familiengeführtes und traditionsreiches Unternehmen und sicheren Arbeitgeber präsentieren
  • sich als Eigentümer der Großfläche und nicht nur als Mieter einer Immobilie in Erfurt verwurzeln
  •  sich mit der Logistikbranche, Politik und Lokalpresse vernetzen
  • gut vernetzte Führungskräfte und Spezialisten vor Ort rekrutieren (neuer Logistik-Chef seit Juli 2012 ist Uwe Ratajczak, früher Fiege), von den 40 derzeit bereits eingestellten Führungskräften und Spezialisten stammen 35 auf der Region oder den neuen Bundesländern und werden derzeit teilweise in Stuttgart eingearbeitet

Um sich in der Region zu vernetzen und gute Voraussetzungen für das Recruiting zu schaffen, baut die Unternehmensgruppe ein Netzwerk mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport auf. Dazu gehört auch ein Sponsoring der verschiedenen Literaturinitiativen der Stadt. KNV erwartet bis Weihnachten die ersten 300 Gäste aus Verlagen und Buchhandlungen zu Baustellenbesichtigungen. Zusammen mit dem Tourismusbüro bietet man „Kennenlern-Packages“ mit zwei oder drei Übernachtungen in Erfurter Hotels an. Im Sommersemester entsteht ein Recruitingfilm in Kooperation mit Studenten der Technischen Hochschule Ilmenau. Und über den neuen Internetauftritt können sich Interessierte über offene Stellen und die Unternehmen informieren - und vor allem Bewerber ein unkompliziertes Portal finden.

Markus Fels will nicht nur sein Unternehmen in den Köpfen der Erfurter bekannt machen, sondern KNV / KNO VA als attraktiven Arbeitgeber präsentieren, der „offen kommuniziert, Sicherheit bietet und als inhabergeführtes Unternehmen sich von konzerngeführten Unternehmen deutlich unterscheidet."

Zurück zum Bahnhof geht es schnell. Der Taxifahrer sagt: „Das ist hier doch das Buchzentrum, oder? Kenne ich aus der Zeitung. Wann macht das eigentlich auf?“ KNV kommt in Erfurt an.