Meinung: Bücherleben 2011

Mehr Leuchten wäre schön

30. Juni 2011
von Börsenblatt
Das Verlagsgeschäft wird immer greller. Von Lisette Buchholz, Leiterin des Persona Verlags.

Die Erde würde ohne uns Menschen auch ganz gut laufen, meinte der scharfzüngige Wolfgang Neuss. Und manchmal denke ich, das gilt auch für den Literaturbetrieb, der Literatur gar nicht braucht. Die Puzzleteilchen der Branche lassen sich gewinnbringend zu immer neuen Mustern zusammensetzen, ohne dass wirklich Neues nötig wäre. Festivals, Preiskarusselle, Interviews, Hit- und Hotlisten, Talkshows, Starfotos von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die sich für Hochglanzmagazine eignen, mit den passenden Homestorys – das reicht, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Jeden Donnerstag, wenn ich das Börsenblatt aus dem Kasten ziehe, weiß ich schon, welche Gefühle mich erregen werden, wenn ich es durchblättere. Ist das noch meine Branche? Habe ich einen Verlag gegründet, um dabei mitzutun? Ich sehe meine Autorinnen und Autoren vor mir – sie eignen sich zu alledem nicht. Zu ernsthaft, zu selbstständig, zu wenig marktgerecht, waren beziehungsweise sind sie nie an den richtigen Orten, um einschlägige Kontakte zu knüpfen.

Die aggressive Vermarktung von Literatur mag über den Atlantik zu uns herübergeschwappt sein. Trotzdem liebe ich die Literaturkritiker der »New York Times«. Man erfährt tatsächlich etwas über die besprochenen Bücher und deren Verfasser. Hierzulande überwuchert die Kritik oft die Produktion.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass der blutige Aderlass von 1933 Gräben hinterließ, die immer noch spürbar sind. Ermordung und Vertreibung töteten auch eine Tradition kritisch gepflegter Sprache. Die Exilliteratur ist die letzte Tranche der deutschsprachigen Klassik. Stellen Sie sich Walter Benjamin oder Georg Hermann auf einem der heute üblichen Mega-Events vor.

Es ist nicht nur die Qualität der heute gepushten, übermorgen vergessenen Bestseller, die mich vor den Kopf schlägt, sondern auch die schiere Quantität. Muss es denn so viel sein? Mein verlegerisches Über-Ich quält mich, weil ich in diesem Jahr keinen neuen Titel verlege. Nicht nur Geldsorgen haben diesen Entschluss befördert. Ich habe keinen Titel gefunden, bei dem es gekribbelt hätte. Und kribbeln muss es.
Die Vorschauen werden immer opulenter und erinnern an Lifestyle-Werbeprospekte. Seit Jahren haben wir uns an die Manga-­Kostümierten auf den Buchmessen gewöhnt. Ein urliterarisches Erlebnis. Überhaupt Messen: Warum dürfen wir nicht verkaufen?

Die Backlist war früher der Kronschatz der Verlage, unser Rückgrat. Heute bricht sie uns in Form der Lagerkosten das Genick. Auch in den Feuilletons gilt ein Titel als alt, wenn er in der vorangegangenen Saison erschienen ist. Was der Buchhandel liebt, heißt »Schnelldreher«. Die Beziehung zwischen Kunst und Kommerz gehört zu den unerforschlichsten. Ich grüble viel darüber nach und komme zu keinem Ende. Die übliche Paartherapie greift hier nicht.

Georg Hermann unterschied zwischen Büchern, die uns etwas geben, und solchen, die nur interessieren. Wann haben Sie zuletzt ein Buch gelesen, das Ihnen etwas gab?

Ich mache jetzt einen Spaziergang und denke über rätselhafte Gedichtzeilen von Joseph Brodsky nach. Man kann sie wie eine Murmel hin- und herwenden und immer leuchten sie bisschen anders. Mehr Leuchten wäre schön. Licht, zumal Blitzlicht, haben wir ja genug im Literaturbetrieb.