avj-Hauptversammlung in Berlin

Das Richtige tun

8. Juni 2011
von Börsenblatt
13 neue Mitglieder innerhalb von 13 Monaten, die Finanzen für 2010 im grünen Bereich: Für die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) läuft im Moment alles nach Plan, was aber nicht heißt, das es hier und da nicht doch noch ein wenig besser laufen könnte - zum Beispiel beim avj-eigenen Kundenmagazin "Bücherbox". Um welches Thema es heute, am ersten Tag der Jahrestagung 2011 in Berlin, außerdem ging: die Lebenswelt der 14 bis 17 Jährigen. 

Die Studie "Kinder- und Jugendbücher" von avj und Börsenverein hat im vergangenen Jahr für manchen Aha-Effekt gesorgt - vor allem mit Blick auf die jüngere Zielgruppe: die Kleinen. Was 14- bis 17-Jährige umtreibt, welche Bücher sie lesen und kaufen, wurde nur am Rande untersucht. Hier besteht also Nachholbedarf. Und weil das auch die avj-Verlage wissen, hatten sie sich für heute zwei Experten dazu eingeladen: Silke Borgstedt und Erik Flügge von Sinus Sociovision.

Mal Avantgarde, mal angepasst

Das Marktforschungsinstitut hat 2010 sein Milieuraster auf die neue Zeit eingenordet und damit gezeigt, dass sich die Deutschen in ihrem Alltag längst anders bewegen als bis dato angenommen. Wie sich Lebenswelten der Jugendlichen im Detail verändert haben, können die Institutsforscher zwar erst Ende dieses Jahres verraten (die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen). Manches wissen sie aber schon heute: Borgstedt und Flügge gewährten Einblick in drei Mileus - von denen sie glauben, dass sie (mal mehr, mal weniger) eine Affinität zum Buch und zum Lesen aufweisen. Im Schnelldurchlauf:

Die Performer (früher: Moderne Performer) sind nach Ansicht von Borgstedt und Flügge Menschen, die unbedingt vorwärts kommen wollen und dabei sehr zielgerichtet vorgehen (Flügge bezeichnete sie als "multioptionale, effizienzorientierte Leistungselite"). Performer zeichneten sich aus durch eine überdurchschnittlich hohe IT- und Multimediakompetenz, durch einen avantgardistischen Stil (bei Mode und Möbeln undsoweiter), durch ein global-ökonomisches Denken - und einen Hang zu Büchern.  Aber sie liebten, als Early Adopter, auch alles Technische (Anteil an der Gesamtbevölkerung: 7 Prozent; 4,9 Millionen Menschen).

Für die 14 bis 17-Jährigen, die Sinus Sociovision diesem Milieu zurechnet, gelte zudem: Sie seien besonders ambitioniert und selbstsicher, "Kultur-Allesfresser" (Flügge), pragmatisch und dockten überall an, wo sie einen Vorteil für sich sehen würden. Gern auch per Smartphone.

Die Hedonisten lebten ihr Leben indessen eher "Spaß- und erlebnisorientiert" und "im Hier und Jetzt", meinten Borgstedt und Flügge. Das Milieu siedeln sie in der modernen Unterschicht und unteren Mittelschicht an. Die Klientel kennzeichne eine Abneigung gegen alle Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft. In den Bücherregalen von Hedonisten stünden vor allem Gothic- und Fantasytitel - in jedem Fall seien sie "sehr Subkultur-affin" (Anteil an der Gesamtbevölkerung: 15,1 Prozent, 10,6 Millionen Menschen).

Was die 14- bis 17-jährigen Hedonisten auszeichne: Sie zeigten auf allen Ebenen Widerstand gegen die Eltern, verspürten eine besondere Lust zur Trash-Kultur, bewegten sich in unterschiedlichsten Sub-Szenen (Flügge: "Extreme werden in Extremen gesucht."). Wer ihnen Bücher verkaufen wolle, so Borgestedt und Flügge, müsse das berücksichtigen  - bei der Themenauswahl genauso wie beim Cover.

Last not least brachten sie Erkenntnisse über das sogenannte Adaptiv-pragmatische Milieu mit (Anteil an der Gesamtbevölkerung: 8,9 Prozent; 6,3 Millionen Menschen). Adaptiv-pragmatisch veranlagte Deutsche würden zwar regelmäßig lesen, das aber eher nebenbei. Sie hätten ein besonders stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verankerung, verfügten über eine mittlere bis gehobene Bildung, seien sicherheitsorientiert  und kompromissbereit. Ergo: auch nicht besonders aktiv. Sie ließen sich, ob vom Fernsehen oder vom Internet, lieber berieseln - als selbst etwas zu unternehmen (zum Beispiel: einen Blog zu starten). Die 14 bis 17-Jährigen aus diesem Mileu beschreiben Borgstedt und Flügge als  "modisch-modern, aber nicht zu exzentrisch". Nach dem Motto: bloß nicht anecken.

Neue Ideen für die "Bücherbox"

Apropos nicht anecken: Von den Mitgliedern der avj gehören die wenigsten diesem angepasst-adaptiv-pragmatischen Milieu an - was sie heute auch noch einmal eindrucksvoll demonstrierten. Ein Thema, das augenscheinlich im Moment besonders vielen nahegeht, ist das Thema "Bücherbox". Zur Erinnerung: Die avj hat das Konzept für das Kundenmagazin vor etwa anderthalb Jahren komplett überarbeitet und die Auflage von 80.000 auf 200.000 Exemplare erhöht.

Nur: So richtig Zugkraft, bekannten Mitglieder, nein - die habe das Magazin in seiner ersten Saison noch nicht entwickelt. Mit der Folge, dass in der zweiten Saison (Ausgabe 2012) die finanzielle Beteiligung der avj-Verlage (durch Anzeigen) bislang hinter den Erwartungen zurückbleibt. Und nun? Nun soll nachjustiert werden.

Angestoßen wurde die Debatte vom Vorstand selbst - namentlich: von Ulrich Störiko-Blume, dem Vorsitzenden des Gremiums (Noch-Verleger bei Boje, demnächst bei Hanser). "Wir wollen nicht recht haben, sondern das Richtige tun", argumentierte er, nahm sich einen Stift und ein Blatt Papier - und brachte alle Wünsche aus dem Auditorium in eine Ordnung. Drei davon, die Störiko-Blume zufolge jetzt zeitnah umgesetzt würden:

  • der redaktionelle Teil des Magazin soll dicker werden,  
  • die Effizienz geprüft (In welchem Umfang findet das Magazin tatsächlich Leser?), und
  • die Brücke zwischen Print und Online ausgebaut werden (bislang gebe es zwar eine Book2Look-Version mit Warenkorbfunktion, so die Kritik einiger Mitglieder - aber noch zu wenige Interaktionsmöglichkeiten für die Leser).


Grund zum Feiern

Die Diskussion um die "Bücherbox" verlief im besten Sinne lebendig, brachte die Tagung von Anfang an in Fahrt: Der Finanzbericht für 2010, der anschließend vom Vorstand vorgestellt wurde, war schnell durchgearbeitet (der Vorstand wurde von allen entlastet) - morgen soll dann noch besprochen werden, wie das Budget für die nächsten zwölf Monate aussieht. Auch Weiterbildung steht am Tag zwei wieder auf dem Programm: Nikolaus Nützel, Journalist und Autor, liefert Antworten auf die Frage "Was geschieht beim Lesen im Gehirn?".

Zunächst gibt es aber erst einmal etwas zu feiern - heute Abend im Kaffeehaus der Starköchin Sarah Wiener (im Museum für Kommunikation). Es geht ums Wiedersehen und -hören, und die neuen Mitglieder: Gerade konnte die avj ihr 94. Mitglied willkommen heißen - den Silberfisch Verlag (zu: Hörbuch Hamburg).

Überhaupt hat der Verbund derzeit kräftig Zulauf:  Seit Ende 2008 stieg die Zahl der Mitgliedsverlage um rund 20 Prozent (von 76 auf 94), allein seit Mai 2010 kamen 13 Verlage hinzu. Verglichen damit ist die Zahl der Aussteiger sehr niedrig: Ende 2010 belief sie sich auf zwei (Edel.Kids und Härter Kinderbuchverlag).

Die Jahrestagung der avj findet diesmal im anmutig-repräsentativen Ullstein-Haus in der Berliner Friedrichstraße statt. Knapp 50 Mitglieder sind dabei.