Die Situation des stationären Sortiments kommt einem Albtraum gleich: Nichts geht mehr außer Distanzhandel. Amazon profitiert derweil und prahlt schon mit 100 000 neuen Jobs in den USA. So agiert ein Krisengewinnler, der sich seine Lager nun vollhamstern wird, aber keineswegs mit Büchern, sondern mit Produkten des unmittelbaren Bedarfs. Das hat der Online-Riese in kühlen Worten seinen Verlagskunden am Montag bereits mitgeteilt: Man priorisiere Haushaltswaren und Sanitätsartikel, eben alles aktuell Nachgefragte. Das Business brummt.
Der Sortimenter vor Ort hingegen steht vor schweren Wochen, womöglich Monaten. SARS-CoV-2 hat den Selektionsdruck auf Geschäftsmodelle erhöht: Im Vorteil sind Angebote, die auf Distanz funktionieren. Wer bestellt und kommen lässt, statt hinzugehen und abzuholen, muss sich jetzt nicht umstellen. Was für Buchhändler der Shutdown, ist für Amazon das Booten. In Krisen verstärkt sich Ungleichheit.
Buchhändler machen gerade das Beste aus dem Schlechten: Sie verweisen auf ihre Shops; bieten persönliche Zustellung an; organisieren Abholstationen in Apotheken; stärken ihren Bestellservice. Man wird in den nächsten Tagen viele kreative Ideen sehen. Der Ausnahmezustand lädt zu digitalen Experimenten ein. Anregung kommt hier auch von anderswo aus dem Kulturbetrieb. Der Pianist Igor Levit zum Beispiel wird gerade gefeiert für seine sympathische Idee eines täglichen Internetkonzerts bei freiem Eintritt. Warum also nicht Lesungen streamen nebst Bestellbutton als Büchertischersatz?
Selbsthilfe der kreativen Art wird aber allein nicht reichen. Denn während Umsätze ausfallen, bleiben Kosten stabil. Bei den Löhnen mag es noch Linderung geben, Kurzarbeitergeld kann relativ unkompliziert beantragt werden. Für fällige Ladenmieten hingegen springt niemand ein. Appelle an private Vermieter zum freiwilligen Verzicht wären meistens wohl dem Ochs ins Horn gepetzt. Stattdessen müssen staatliche Hilfen den wirtschaftlichen Totalschaden abwenden. Für alle Händler in Bedrängnis gilt: Machen Sie sich die Mühe, Anträge zu stellen, wo immer sich das für Sie anbietet. Im Ernst: Nie war Bürokratie so geldwert wie heute.
Um Solidarität als das Füreinander-Einstehen innerhalb der Branche geht es ebenfalls. Verlage sollten in langfristigem Eigeninteresse großzügig mit Zahlungszielen umgehen. Zwischenbuchhändler haben sich bereits die Frage gestellt, ob sie eine vorläufig gewiss unwirtschaftliche Belieferung des Vor-Ort-Buchhandels dennoch fortführen – und erfreulicherweise mit ja beantwortet. Überdies investieren sie in die Webshops ihrer Kunden. Nur so lässt sich unter der Bedingung von Distanzvorschriften trotzdem die Nähe zum Endkunden erhalten.
Der Ruf nach politischer Intervention ist richtig. Allerdings wird das alles nicht so schnell gehen, wie es gehen müsste. Niemand hat für die Virusweltlage Routinen. Deshalb ist Branchensolidarität jetzt wie Erste Hilfe, bis der Notarzt eintrifft.