Die Jury hat deshalb beschlossen, das betroffene Buch von Cornelia Koppetsch, "Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter" (transcript), nicht bei der Diskussion und damit nicht bei der Preisentscheidung zu berücksichtigen. Der Grund: "Ein schwebendes Verfahrens über die Vorwürfe, dass gewisse Formulierungen nicht dem wissenschaftlichen Comment entsprechen", erläuterte Jury-Sprecherin Sandra Kegel auf der Bühne in der Münchner Allerheiligen-Hofkirche.
Soziologie-Professorin Koppetsch soll den Begriff "Neo-Gemeinschaft" und ganze Aufsatz-Passagen des Soziologen Andreas Reckwitz in ihr Buch eingearbeitet haben, ohne diese als Zitat zu kennzeichnen. Reckwitz war 2017 selber mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet worden, für sein Werk "Die Gesellschaft der Singularitäten".
Kegels Statement zu den Vorwürfen gegen Cornelia Koppetsch ist hier in der BR-Mediathek abrufbar, blieb bei der Preisverleihung allerdings nicht ganz unwidersprochen. In seiner Dankesrede sagte Preisträger Jan-Werner Müller, selbst Professor of Politics an der Princeton University: "Man hätte mit dem Werk von Cornelia Koppetsch auf etwas weniger harte Weise umgehen können." Drittes nominiertes Sachbuch war der Titel "Warum brauchen Demokratien Helden" (Ullstein), geschrieben von Philosophie-Professor Dieter Thomä.
Zwei Gewinner und ein hochgelobtes Debüt
Nach den Turbulenzen gehörte der Rest des Abends den Gewinnern: "Aus David Wagners Autofiktion spricht große Zärtlichkeit, sensible Komik und tiefe Weisheit. Jan-Werner Müllers Plädoyer für eine Liberalismus der Furcht kommt zur rechten Zeit", so die Begründung der Jury, der neben Sandra Kegel, Literaturredakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", auch Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des "Philosophie Magazins", und Knut Cordsen, Kulturredakteur des Bayerischen Rundfunks, angehören.
Svenja Flaßpöhler hatte in der Belletristik den Debüt-Roman "Levi" (Galiani) von Carmen Buttjer nominiert. Die drei Juroren waren sich bei der Debatte auf offener Bühne bald einig: Buttlers Prosarbeit, in der sie über einen sozial vereinsamten elfjährigen Jungen im Großstadtdschungel Berlin schreibt, sei im Wechsel von realistisch geschilderten Erlebnissen und urbaner Surrealität ein sehr gelungenes Buch - Aufmerksamkeitsstärkung für eine junge Autorin.
Eine harte, aber fair geführte Diskussion gab es bei den zwei weiteren nominierten Romanen "Propaganda" (Rowohlt Berlin) von Steffen Kopetzky und Wagners Buch "Der vergessliche Riese", das dann am Ende gewann. In "Propaganda" schildert Kopetzky die demagogische Agitation des NS-Staates und der USA im Vietnam-Krieg. Während Knut Cordsen das Buch lobte und den Autor mit Kurt Tucholsky verglich, waren seine beiden Mitstreiterinnen anderer Meinung: Sandra Kegel fand Kopetzkys Roman überfrachtet, Svenja Flaßpöhler meinte gar: "Hier sind Frauen allein Objekte der Begierde."
David Wagner hatte damit gute Karten für das weitere Rennen. Sein Prosawerk erzählt von der stetig fortschreitenden Demenz des Vaters, um den sich nun der erwachsene Sohn kümmern muss. Realistisch, schnörkellos und zugleich äußerst sensibel schreibe der Autor.- "Das ist ein Buch, vor dem man sich verneigen muss", so Knut Cordsen.
Der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten ging dieses Jahr an den Schauspieler, Regisseur und Autor Joachim Meyerhoff. Sein Projekt "Alle Toten fliegen hoch" wurde am Burgtheater Wien aufgeführt und kam dann als Roman heraus. Ihm folgten als Tetralogie angelegt die weiteren Prosa-Arbeiten, alle erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. Mit Meyerhoffs launiger Dankesrede ging die Verleihung des diesjährigen Bayerischen Buchpreis zu Ende – eine Buch-Soiree, die es ohne Zweifel in sich hatte. Wer die Preisgala in ganzer Länge anschauen möchte, findet sie hier in der Mediathek des BR.
Der Bayerische Buchpreis, in den beiden Kategorien Belletristik und Sachbuch mit jeweils 10.000 Euro dotiert, wurde in diesem Jahr zum sechsten Mal vergeben. Er wird vom Börsenverein - Landesverband Bayern veranstaltet und von der Bayerischen Staatskanzlei gefördert.