Joachim Bartholomae zur Lagerreduzierung bei Libri

1985

23. August 2019
Redaktion Börsenblatt
Als Joachim Bartholomae, Geschäftsführer der Salzgeber Buchverlage, 1985 im Buchhandel anfing, war der Lagerbestand von Libri wesentlich kleiner als heute − aus seiner Sicht nicht unbedingt ein Nachteil. Er blickt zurück und träumt von individuellen Qualitätssortimenten in der Buchhandlung, die nicht nur aufs Barsortiment angewiesen sind.

Libri reduziert das Lager um 180.000 Titel – eine gewaltige Zahl, und zufällig genau die Zahl, die dem Lagerbestand dieses Großhändlers Mitte der Achtziger Jahre entsprach, als ich als Quereinsteiger im Buchhandel landete. Ich finde, bei manchen Themen kann es nicht schaden, sich kurz daran zu erinnern, wie die heutige Situation eigentlich entstanden ist. Ein ähnliches Thema ist die fatale Einschweißfolie: 1985 war die weitgehend unbekannt; jetzt inszenieren sich Verlage als Umwelthelden, die zwanzig, dreißig Jahre mitgemacht haben und sich heute endlich eines Besseren besinnen.

"Barsortimente wurden zu Ersatz-Verlagsauslieferungen"

Aber zurück zur Lagergröße des Barsortiments und zum Vergleichsjahr 1985. Damals bestellte das Sortiment Novitäten in großen Stückzahlen per "Reiseauftrag" beim Vertreter. Das wurde mit besseren Konditionen belohnt, weshalb bei wichtigen Titeln sogar Terminaufträge vergeben wurden, die zu den gleichen Konditionen vier oder acht Wochen später geliefert wurden, wenn die Erstauslieferung erwartungsgemäß verkauft war. Ein solcher Direkteinkauf war für die Verlage ein Segen, weil sich Auflagen planen ließen und Remissionen nur in Ausnahmefällen, und dann in zeitlich größerem Abstand, zu erwarten waren.

Diese aus heutiger Sicht paradiesischen Zustände endeten, als Betriebsberater ("Winter steckt dahinter") die Buchhändlerinnen zu einem Triage-Denken verleiteten: Nur "A-Verlage" mit hohem Umsatz wurden noch direkt bestellt, "B-Verlage" übers Barsortiment, "C-Verlage" am besten gar nicht. Durch diese Umstellungen wandelte sich die Rolle der Barsortimente zu Ersatz-Verlagsauslieferungen; schließlich kauften viele Buchhändler ausschließlich dort ein. Diese Kolleginnen, so wertvolle Arbeit vor Ort sie auch leisten mögen, sind den Verlagen oft vollkommen unbekannt, da nie ein direkter Kontakt bestanden hat; für sie mag diese Lagerbereinigung ein schwerer Schlag sein.

"Gewaltige Zahl völlig austauschbarer Titel im Schmökersortiment"

Das veränderte Bestellverhalten des Sortiments ist natürlich nicht nur die "Schuld" von Winter und Consorten. Ein zweiter, entscheidender Faktor ist die gewaltige Zahl völlig austauschbarer Titel im Schmökersortiment. Wer soll da schon wissen, welche Dutzendware sich verkauft, und welche nicht? Viele Buchhandlungen haben deshalb den Sortimentsgedanken schlichtweg aufgegeben: Nicht sie entscheiden, welche Bücher sie ihrer Kundschaft anbieten wollen, sondern die Bestsellerlisten, die in der Regel in der Buchhandlung mit einem eigenen Regal geehrt werden.

Wer seinen Warenbestand nur nach Verkaufszahlen und nicht nach eigenen Qualitätsstandards bestückt, betreibt im Grunde lediglich Logistik: Er oder sie macht sich zu einer Schnittstelle in der Lieferkette vom Verlag zum Endabnehmer, deren Qualität sich lediglich an der schnellen Verfügbarkeit der Ware bemisst. Aber wer will es ihnen verdenken? Wenn die Kunden und Kundinnen, die ihre Garderobe sicher nie von C&A oder H&M beziehen würden, ihre Bücher nach dem Prinzip "10 Millionen Fliegen können nicht irren" einkaufen, macht ein inhaltlich liebevoll zusammengestelltes Sortiment wenig Sinn.

Jeder weiß, dass "Bestseller" die Bücher sind, an die sich in zehn Jahren kein Mensch erinnert, aber anscheinend fehlt der Mut, ihnen die eigene Buchauswahl entgegenzusetzen. Und wer für ein Sortiment einkauft, macht das natürlich direkt beim Verlag und braucht das Barsortiment nur im Ausnahmefall.

"Libri wieder runter auf 180.000 Lagertitel"

1985 gab es in Hamburg noch das Grossohaus Wegner, und das verschickte an den Buchhandel jede Woche eine Liste der bei ihnen meistverkauften Titel. Ich habe diese Liste die "Schandliste des Sortiments" genannt, weil diese Titel dort offenbar nicht oder nicht ausreichend eingekauft wurden, was man damals unprofessionell nennen konnte. Setzen wir uns ein Ziel: Libri wieder runter auf 180.000 Lagertitel, und individuelle Qualitätssortimente in der Buchhandlung. (Man wird ja mal träumen dürfen.)