Wie zäher Mus zieht sich durch das Denken vieler Branchenakteure das Märchen vom harmonischen Miteinander: "Wir sind doch eine Branche" war im Börsenblatt zu lesen. Während viele Buchhändler*innen tatsächlich daran glauben, nutzen andere Akteure diese Trugvorstellung geschickt aus. Ein typischer aktueller Satz: "Wir als Auslieferung liefern natürlich ... wieder mit unseren Verlagen an KNV, weil wir (a) das Barsortiment und den Markt stützen wollen und (b) nicht zuletzt uns selbst auch." Vom sachlichen Gehalt her geht es um "(b)", die anderen Gesichtspunkte sind Mittel zu diesem Zweck.
Selbstverständlich sind wir eine Branche. Das bedeutet jedoch mitnichten, dass aller Interessen identisch wären oder harmonisch ausbalanciert werden könnten. Von diesem Milchmädchenglauben müssen sich viele Branchenteilnehmer dringend befreien, sonst werden sie bald einen hohen Preis zahlen. Wie in jeder anderen Branche verfolgen alle Akteure jeweils ganz eigene und sehr oft widerstreitende Interessen. Für die Zukunft der Branche ist es hilfreicher, wenn wir unsere jeweiligen "(b)s" kennen und klar verfolgen.
Warum wohl meint die größte Buchhandelskette, sich eine kleinere Kette einverleiben zu müssen? Weil größere Zahlen so toll wären? Weil "familiengeführter Buchhandel" zu neuen Höhen geführt werden müsste? Unsinn. Es geht vielmehr um zwei "(b)s". Erstens bedarf es nur noch eines einzigen Bündels an Strukturen im Hintergrund, was bei guter Organisierung der Fusion Rationalisierungseffekte bedeutet. Zweitens erhöht sich die Nachfragemacht gegenüber Lieferanten, von denen selbst die größten (wenn man sie mit anderen mittelständischen Branchen vergleicht) Kleinunternehmen sind. Wer von ihnen würde wagen, sich der Order dieses Riesenkunden zu widersetzen, fortan zwei weitere Prozent Nachlass zu gewähren?
Warum wohl geht der größte Zwischenbuchhändler in die Knie? Weil er vom Kettenzusammenschluss unmittelbar betroffen ist, weil er die logistische Struktur für die kleinere der beiden Ketten betreibt − und dieses Geschäft in Kürze verlieren wird. Dieses zeitigt in jedem Fall gravierende Folgen, selbst wenn es die selbst verursachten Bauchklatscher beim Scheitern des Anspruchs, die Logistik neu erfinden zu wollen, nicht gegeben hätte. Und last but not least, weil er, um Buchhandlungen als Kunden halten zu können, unüberschaubare Mengen an Vorzugshäppchen auswerfen musste, die sowohl organisatorisch als auch wirtschaftlich belastend waren.
Da stehen wir nun mit unserer vermeintlich so harmonischen Branche. Sogenannte 'Solidaritäts'-Aufrufe zum "Skontoverzicht" oder "Zusatzeinkauf" offenbaren nur, dass die Welt der großen Zahlen vielen Akteuren fremd ist. Wenn allein für Zinsen auf Bankschulden im Jahr 2016 10,8 Millionen Euro (das sind 900.000 Euro in jedem einzelnen Monat oder 30.000 Euro an jedem einzelnen Tag − nur für Zinsen!) aufgebracht werden müssen, sollte das Ausmaß der Verschuldungsabgründe offenkundig sein. Da noch gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen, könnten sich vielleicht Banken erlauben ... aber sonst niemand.
Wie wird es weiter gehen? Zum Thema des Kettenzusammenschlusses sollten möglichst viele Akteure proaktiv Stellungnahmen an die zuständige Zweite Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes in Bonn senden. Darin sollten sie zum einen die zu erwartende Konzentration für das Gebiet Nordrhein-Westfalen und zum anderen die zu erwartende Nachfragemacht gegenüber den Verlagen ansprechen. Eine eingehende Prüfung des Bundeskartellamtes könnte große Bedeutung entfalten. Denn es wird über zaghafte Anzeichen gemunkelt, einige Verlage könnten sich dem Befehlsempfang aus der Konzernzentrale doch widersetzen − aber nicht weil die Verlagsleiter so mutig wären, sondern weil sie wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand stehen.
In Sachen des Zwischenbuchhändlers erleben wir zwar eine Atempause, in der (fast) alles so läuft wie gewohnt, aber das böse Erwachen wird mit dem Auslaufen des Insolvenzgeldes kommen. Es muss jedem klar sein, dass ab Anfang Mai nichts mehr so bleiben wird wie es war. Wer immer übernimmt oder Geld einbringt, wird angesichts der gigantischen Verschuldungsdimensionen fundamentale Veränderungen vornehmen müssen. Ein eiserner Besen wird fegen − mit Folgewirkungen für zahllose Buchhandlungen und Verlage. Zieht Euch warm an, denn die Schimäre Branchenharmonie wird Euch nicht wärmen.
Was der buchhändlerische Teil wirklich bräuchte, wäre ein effektiver, schlagkräftiger und verlässlicher Verbund − die Zeit der netten einvernehmlichen Gesprächskreise ist abgelaufen. Wir sind mittlerweile die einzige Branche, in der es keinen solchen Zusammenschluss gibt. Leider ist niemand in Sicht, der ein solches Projekt beginnen würde − oder? Was der verlegerische Teil wirklich bräuchte, wäre die Traute, den Branchenriesen nicht nur zu widerstehen, sondern ihnen von vornherein offensiv entgegenzutreten. Frei nach dem Motto: Glaubt bloß nicht, dass ihr uns nach dieser oder der nächsten Fusion vielleicht im Südwesten erhöhte Konditionen aufzwingen könnt.
Als es vor vielen Jahren darum ging, Buchhandlungen, die sich verbesserte Konditionen verschafft hatten, zu zügeln, konnten sich alle großen Verlage im Handumdrehen auf Kündigung der Verträge einigen. Warum soll eine solche konzertierte Aktion nicht auch in der anderen Richtung möglich sein? Wenn zudem noch die Anerkenntnis, dass die vielen unabhängigen Buchhandlungen ein verlässlicher und vertrauenswürdiger Partner auf Dauer sind, mitsamt wirtschaftlicher Untermauerung folgen würde, dann − und nur dann − könnten neue, produktive Formen des Miteinanders in der Branche wachsen. Und nur in solchem Miteinander können wir die größte aller Herausforderungen angehen, die über unser aller Zukunft entscheiden wird – die Krise des vertieften Lesens bei den nachwachsenden Generationen.
Hartwig Bögeholz ist Geschäftsführender Gesellschafter der "Jürmker" Bücherstube GmbH in Bielefeld und Wolfram Schwarzbich ist Betriebsleiter Buchhandlung Bethel (Stiftung Bethel − Betriebe Bethel) in Bielefeld.
Ich verstehe bis heute nicht, warum z.b. Barsortimente immer nur den Umsatz und nicht den Barsortimentsanteil belohnen.
Ich folge der Einschätzung, dass nach einer evtl. (dauerhaften?) Rettung von KNV die systematischen Probleme nicht gelöst sind.
Weitere Insolvenzen werden folgen, auf welcher Seite auch immer.
vielen dank für die treffende Stellungnahme. Ich hatte schon gedacht, es gäbe keine vernünftigen BuchhändlerInnen mehr in der Branche.