Ulrich Störiko-Blume zu Künstlicher Intelligenz in Verlagen

"Wir sind schlecht ausrechenbar"

8. Februar 2019
Redaktion Börsenblatt
Ulrich Störiko-Blume von der literarischen ProjektAgentur findet die Kassandra-Rufe auf das Ersetzen menschlicher Intelligenz durch Künstliche Intelligenz im Verlagswesen brandgefährlich. Die Frage "cui bono?" werde nicht gestellt: "Wer hat Interesse daran, qualifizierte Menschen durch Maschinen zu ersetzen?" Ein Meinungsbeitrag.

Wissenschaft lebt von der Auseinandersetzung mittels der besseren Argumente – es gibt nicht "die" Wissenschaft. Unabhängig davon, wie man Zukunftsforschung als Wissenschaft betreiben kann, erleben wir häufig, dass Prophezeiungen sich als Wissenschaft ausgeben: Dann wird es entweder lächerlich, irrelevant oder gefährlich.

Gewiss ist es mehr als ratsam, sich als Mensch, als Firma, als Branche, als Staat auf die eigene Zukunft vorzubereiten. Kein Wunder daher, dass ein Großthema wie "Künstliche Intelligenz (KI)" in Aufsätzen, Büchern, Gesprächen, Kongressen auftaucht, weil es ebenso viel Euphorie wie Abwehr hervorruft. Der Artikel "KI im Verlagswesen – Welche Arbeitsplätze sind ersetzbar?" der Website "Verlage der Zukunft" (zitiert auf boersenblatt.net am 30.01.2019) ist ein Beispiel für die Verbreitung spektakulärer Szenarien. Dort heißt es: "Wahrscheinlich sieht die Zukunft so aus, dass Inhalte und Informationen (Fachinformationen, News, Belletristik) nicht mehr von Menschen hergestellt werden." Statt sich von solchem Kassandra-Geraune verunsichern zu lassen, sollten wir besser kompetenten Experten zuhören und uns zugleich als aufgeklärte Demokraten gegen kritiklose Hinnahme vermeintlich objektiver Entwicklungen engagieren. Folgende Anmerkungen sind aus meiner Sicht zu dieser "Prognose" zu machen:

  1. Derartige Aussagen über die Zukunft mit dem Etikett "wahrscheinlich" zu versehen, widerspricht jeglicher seriöser Forschung.
  2. Wer Belletristik unter den Begriffen "Inhalte und Informationen" subsummiert, hat das Wesen der Literatur nicht verstanden.
  3. Die Frage "cui bono?" wird nicht gestellt: Wer hat Interesse daran, qualifizierte Menschen in der beschriebenen Weise durch Maschinen zu ersetzen?
  4. Die Sinnhaftigkeit des skizzierten Wandels wird überhaupt nicht thematisiert.

"Kleine Fehler, die wir korrigieren"

Der Linguist, Philosoph und KI-Praktiker Reinhard Karger sagt: "Selten geht es bei KI aktuell um das Faktische. Kaum um das kurzfristig Mögliche, das mittelfristig Erwartbare, wenig um konkrete Chancen und Anwendungen, oft um überzogene Erwartungen oder obskure Vorbehalte. Leser allerdings fühlen sich existentiell bedroht, die Gesellschaft wird zunehmend nervös. Das ist nicht notwendig!" (buchreport-online am 30.01.2019).

Reinhard K. Sprenger kritisiert in einem erhellenden Beitrag in der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 26.01.2019 die Kassandras dieser Zeit, die von KI schwadronieren, während wir allenfalls über maschinelle Intelligenz (MI) verfügen. Hier wird es – auch für Verlage – eine Menge hochinteressanter Anwendungen geben, wenn es um die Erfassung und Auswertungen von Daten geht: "MI kann zudem extrem schnell optimieren: Muster erkennen". Aber die Schlussfolgerung daraus ist für Sprenger eine ganz andere: "Weil wir Fehler machen, haben wir als Spezies über Jahrmillionen überlebt. ... Unser Denken und Handeln folgt keinem Algorithmus, sondern passt sich an, ist lernfähig, vorausschauend, macht dabei immer wieder kleine Fehler, die wir korrigieren. Deshalb sind wir schlecht ausrechenbar."

Nach der Logik der Äußerung auf der Website einer Institution mit dem anmaßenden Namen "Verlage der Zukunft" wäre es doch am besten, man ersetzte auch die Kunden=Leser durch Maschinen. Excusez, das ist ein unangemessener Kassandra-Ruf meinerseits, denn es wird ja bescheiden eingeräumt: "Noch ist man in der Entwicklung nötiger KIs nicht sonderlich weit." Spektakuläre Aufsätzchen dieser Art befördern weder eine sinnvolle Auseinandersetzung mit KI noch die zukunftssichernde Arbeit der Verlage und Buchhandlungen.

Ulrich Störiko-Blume