Rückblende: Donnerstag, der 14. Juni 2018. Am Abend zuvor bin ich von den Buchtagen Berlin zurückgekehrt und sitze nun mit meinen Kolleginnen im Besprechungsraum des Verlags, weil ich ihnen zeigen möchte, was mich in Berlin am stärksten beeindruckt, besorgt, aber auch angeregt hat: die Vorstellung der Studie "Buchkäufer – quo vadis?" des Börsenvereins. Am Morgen habe ich die Präsentationsfolien heruntergeladen und berichte nun über die Fragen und Erkenntnisse der Studie so gut, wie einem das eben bei Präsentationen gelingt, die man nicht selbst erstellt hat.
Nun ist Junfermann ein kleiner Verlag und sicher nicht das, was wir uns im Zuge der Bankenkrise angewöhnt haben, "systemrelevant" für eine Branche zu nennen. Auch operieren wir in einer Nische, für die die Ergebnisse der Studie nur mit zahlreichen Einschränkungen und Relativierungen gelten mögen. Doch wer sich nie angesprochen fühlt, hört bald nicht mehr zu – ein guter Grund, die Statistiken zur Abwanderung der Buchkäufer und die Thesen zu ihrer digitalen Überforderung sowie ihrer Sehnsucht nach Entschleunigung zunächst einmal ernst zu nehmen. Und es zeigt sich schnell, dass die Relevanz der Fragen, die die Studie stellt, allen im Verlag einleuchtet, mehr noch: Ihre Thesen setzen so evidente Handlungsimpulse, dass sofort und spontan erste Vorschläge geäußert werden, warum und wie darauf zu reagieren sei. Wir einigen uns darauf, einen Ideenpool zu bilden.
Zwei Wochen später ist daraus ein Bündel von rund 20 Maßnahmen erwachsen, die dazu dienen sollen, einen Kontrapunkt zu den in der Studie beschriebenen Trends zu setzen. Sie reichen von verbesserter Orientierung für die Besucher unseres eigenen Webshops über die Erschließung neuer Kanäle für Marketingbotschaften und Leseproben bis zu PR-Kampagnen für neue Bücher, welche den Leserinnen und Lesern inhaltlich just Hilfe in der digital erzeugten Reizüberflutung anbieten und Räume für Auszeiten abseits des "always on" eröffnen. Sie betreffen Altbekanntes, das wir im Lichte der neuen Erkenntnisse ein wenig anders machen wollen als bisher, ebenso wie das Betreten von Neuland. Manche Ideen können direkt umgesetzt werden, andere müssen erst noch auf ihre Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit geprüft werden. Wesentlich aber ist, dass der Verlag als Ganzes offenbar Chancen in den Perspektiven sieht, die die Studie aufgezeigt hat: Ich beobachte das an vielen kleinen Alltäglichkeiten, etwa wenn sich Botschaft und Bildersprache in Anzeigen und Social-Media-Posts ganz leicht verschieben und darin ein durch die Studie informiertes, neues Verständnis für Nöte und Sehnsüchte der Kunden erkennbar wird.
Soll heißen: Man kann auch einfach mal anfangen. Es braucht keine agile Projektmanagementtheorie, keine externe Beratung mit mehreren Workshops und keinen offiziellen Startschuss für eine konzertierte Aktion des Börsenvereins. Die Studie ist eigentlich klar genug. Kleine Schritte erreichen zugegebenermaßen nur kleine Ergebnisse (die aber immerhin!) und es ist klar, dass der Branche keineswegs das Heil daraus erwachsen wird, dass wir diese Schritte in unserem kleinen Unternehmen gehen. Doch wenn in vielen solcher Unternehmen viele kleine Schritte gemacht werden (und nach allem, was ich höre, geschieht genau dies im Moment), dann ist es geradezu unvermeidlich, dass sich Effekt und Relevanz schließlich von selbst einstellen werden. Gehen wir los!
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...traurig.
die im Text von Ihnen, Herr Dietrich, skizzierten kleinen Schritte sind zu begrüßen. Sie schreiben ja sogar, dass es in vielen Verlagen kleine Schritte gibt, mit denen auf das Szenario der Käuferstudie geantwortet wird. Also sind wirklich viele auf gleiche oder ähnliche Ideen gekommen. Prima!
Die vermeintliche Kurzfristigkeit der Maßnahmen und Änderungen ist als Gefahr sicher im Blick zu behalten, als grundlegendes Manko kann ich sie aber nicht erkennen. Es ist aus meiner Sicht hingegen ein langfristig wirkendes und wirksames Procedere, wenn ein ganzes Team verhaltensändernd und gestaltend auf die in der Studie erwähnten Herausforderungen reagiert - und das durchhält, bis es in Routine und Alltag übergegangen ist: immer wieder genau zu lesen, genau hinzuhören und genau über Botschaft und Bildersprache zu antworten.
Die bildungspolitisch notwendige Förderung der Lesekompetenz von Kindern, Jugendlichen und auch von Erwachsenen steht meines Erachtens zwar nicht auf einem anderen Blatt, aber auf der Rückseite des Blattes mit den eben skizzierten Überlegungen. Lesekompetenz allein führt nicht zum Lesen. Nicht-Lesen lässt einmal erworbene Lesekompetenz schleichend weniger werden. Es bleibt also die Forderung an die Bildungspolitik - und gleichzeitig erneut der Weg der Schritte auf Unternehmensebene in Verlagen und Buchhandlungen zur Förderung und Erhaltung der Lesekompetenz.
Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich zum Lesen dieses Kommentars genommen haben. Ihre Gudula Buzmann
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