Die Rahmenbedingungen, mit denen die Buchbranche derzeit konfrontiert ist, sind alles andere als einfach. Der Verlust der Buchkäufer, rückläufige Passantenfrequenz in vielen Innenstädten, Onlinehandel – die Probleme sind benannt und werden ausgiebig diskutiert. „Ist das das nun Ende der Branche, die wir lieben, und wir werden zu einer Nischenbranche?“, fragte Bertram Pfister, bei Libri verantwortlich für den Vertrieb. Dass ein solches Szenario nicht eintreten möge, versteht sich von selbst. Dennoch: Pfister hat den Eindruck, dass sich Einzelhandel und Kunden entfremden würden. „Das Gemeinsame geht verloren, die Beziehung muss lebendig gehalten werden“, so Pfister. Ziel solle es sein, mit den Kunden einen zweiten Frühling zu erleben. Dafür gelte es, die Buchhandlung als dritten Ort zu etablieren – als erster Ort gilt das Zuhause, als zweiter der Arbeitsplatz.
Wie die Verwandlung von Buchhandlungen in dritte Orte von Statten gehen kann, dafür haben Andreas Meyer (Verlagsconsult) und Arnd Roszinsky-Terjung (Buchconsult) ein umfangreiches Programm erarbeitet – übrigens schon zum 15. Mal, denn der Libri Campus feiert in diesem Jahr einen halbrunden Geburtstag. Methodentraining steht am Montag und Dienstag ebenso auf der Agenda wie Best-Practice-Beispiele oder Ergebnisse aus der Marktforschung.
Passantenbefragung in Bad Hersfeld
Die Buchhändler konnten sich am Montag direkt selbst als Marktforscher betätigen. Im Rahmen des Design-Thinking-Prozesses (dazu gleich mehr) zogen sie in Dreiergruppen durch die Bad Hersfelder City und befragten jeweils drei Passanten rund um den Buchhandel. „Kaufen Sie im Buchhandel, gefällt es Ihnen in der Buchhandlung, wie stellen Sie sich eine Buchhandlung vor?“, so und ähnlich lauteten die Fragen. Die Ergebnisse, einige davon überraschend („ich wünsche mir Liegeplätze in einer Buchhandlung“, „Sandstrand und Palmen fände ich schön“), einige erwartbar („ich wusste gar nicht, dass Sie auch einen Onlineshop haben“), wurden anschließend in Arbeitsgruppen weiterbearbeitet.
Es galt, aus dem Gehörten Ideen zu generieren, mit denen der Laden nach den Kundenwünschen gestaltet werden kann. Und hier kommt wieder der Design-Thinking-Prozess ins Spiel, der von Jonas Brunnert (Innoki) Schritt für Schritt präsentiert wurde. Die Methode hat sechs Stufen und arbeitet sich in folgenden Schritten vom Problem zur Lösung vor: Verstehen, Empathie zeigen, Synthese, Ideen entwickeln, Prototyping, Test. Die Buchhandlung mit der Palme ist im Laufe des Tages übrigens wirklich entstanden – gebastelt aus Pappe, Strohhalmen und anderem Material, denn das Arbeiten mit den Händen gehört zum Design Thinking dazu. Wer die Idee zuerst in seinem Laden umsetzen wird? Eine spannende Frage!
Der anspruchsvolle Kunde
Sören Ott (Gruppe Nymphenburg) gab einen aktuellen Einblick in die Psyche der Kunden, die sich durch folgende Merkmale auszeichnet:
- Die Kunden agieren wann, wo und wie sie wollen.
- Die Kunden sind besser informiert. Alles ist überall, zu jeder Zeit und an fast jedem Ort verfügbar.
- Die Kunden sind anspruchsvoller.
- Die Kunden sind weniger loyal. Gekauft wird, wo es gerade am günstigsten oder bequem ist.
- Die Kunden sind ökologisch fordernd.
Ott rät den Sortimentern, alles auf den Kunden auszurichten, ein tiefes Zielgruppenverständnis zu erlangen und auf jeden Fall auch mobile stattzufinden. Wichtig sei eine neue Konzeptqualität, so dass auch der Besuch einer Buchhandlung für die Zielgruppe ein Freizeit-Highlight sei. Es werde ein attraktives Rahmenprogramm für zusätzliche Besuchsanlässe benötigt. Ebenso müsse das Sortiment grundlegend überdacht oder ergänzt werden.
Best-Practice-Beispiel "Erlebe Wigner"
Diese und weitere Punkte sind es, die sich Ellen und Eberhard Wigner mit ihrem Conceptstore „Erlebe Wigner“in Zirndorf auf die Fahnen geschrieben haben. Dort gibt es unter anderem Kleider, Schuhe, ausgewählte Lebensmittel, Bücher oder Sportartikel. Ellen Wigner, die sich selbst als Gastgeberin und ihre Kunden als Gäste bezeichnet, zog die Teilnehmer des Libri Campus mit ihrem Ideenfeuerwerk aus Aktionen und Veranstaltungen so sehr in den Bann, dass der Applaus kaum enden wollte. Hier nur einige Beispiele: Ein Wettbewerb, wer am schnellsten Betten bezieht, ein Turnier für Steckenpferde inklusive Hindernisparcours („hier treten ganze Teams an“), Häkel-Events wie die Ausrichtung der Häkel-WM („da hat auch das Fernsehen groß berichtet“), Handlettering-Abende, Pyjama- und Kittelschürzenparty, Biertauschbörse, Crowdsinging und vieles mehr. Aber: „Das alles funktioniert nur, wenn man es echt und authentisch macht und die Mitarbeiter mitziehen“, so die Erfahrung von Wigner.
Der Libri Campus, zu dem das Barsortiment seine Kunden einlädt, geht jeweils zwei Tage – und findet in der kommenden Woche noch zweimal statt.