Im Rahmen der Buchtage Berlin organisiert der Börsenverein jährlich das Nachwuchsparlament für junge Leute in der Buchbranche. In der Veranstaltungsreihe gibt es Diskussionen, Workshops oder Exkursionen zu Buchhandlungen und Verlagen. Motto in diesem Jahr: „Werte – Wandel – Verantwortung“.
Bevor die angehenden Buchhändlerinnen und Verleger in Berlin am Vortag der Buchtage über den digitalen Wandel, Startups und abnehmende Kundenfrequenz im Buchhandel debattierten, wurde es politisch bei der Zusammenkunft des Nachwuchsparlaments. Zu einer Podiumsdiskussion über „Demokratie und Meinungsfreiheit“ waren der Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche Dresden Frank Richter, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Alexander Skipis und der „Spiegel“-Journalist Horand Knaup eingeladen. „Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss“ – der bekannte Satz des Soziologen Oskar Negt sollte als Vorlage für ein Gespräch darüber dienen, wie demokratische Überzeugungen im Alltag gelebt und verteidigt werden können. Die Debatte führte sodann von Erinnerungen Richters an seine oppositionelle DDR-Biografie („Ich darf sagen, ich habe nicht unwesentlich zum Umsturz beigetragen“) über Bildungspolitik (Streitkultur und Medienkompetenz sollen auf den Stundenplan), Wahlbeteiligung (die Zivilgesellschaft lebt vom Engagement), den Beruf des Politikers (einer der anspruchsvollsten Berufe überhaupt) bis hin zur Lage in der Türkei (ein totalitärer Unrechtsstaat) und deutscher Unternehmenskultur. Es wurde mithin einiges geboten im Jugendzentrum Alte Pumpe beim Lützowplatz im Zentrum Berlins.
Alexander Skipis hob einmal mehr hervor, dass insbesondere die Buchbranche von der Meinungsfreiheit lebe. Das junge Publikum ermunterte er dazu, das „Besondere der Branche“ zu transportieren und sichtbar zu machen: „Ich erwarte, dass Sie widerspenstig und mutig sind.“ Wo Meinungsfreiheit eingeschränkt sei, werde die freie Meinung stets manipuliert, gab Skipis den aufmerksamen Zuhörern mit auf den Weg.
Der Dresdener Theologe Frank Richter legte indes Wert darauf, auch die Grenzen solcher Manipulation deutlich zu machen: „Die freie Meinung ist einfach da, weil Menschen einen eigenen Kopf haben. Sie lässt sich manipulieren, aber nicht beherrschen.“ Auch in der DDR habe man durch kluges Handeln Freiräume schaffen können. Dies sei überall und immer möglich. Im Umkehrschluss forderte Richter dazu auf, sich für die liberale Demokratie zu engagieren, denn „eine gute Gesellschaftsordnung ist noch keine gute Gesellschaft“.
Ähnlich formulierte es auch Horand Knaup. Mit Blick auf die überwiegend friedliche europäische Nachkriegszeit seit 1945 seien wir geneigt, vieles (wie offene Grenzen und eine einheitliche Währung) für selbstverständlich zu halten. „Aber“, so mahnte Knaup, „nichts ist selbstverständlich. Alles wurde hart erarbeitet. Wir müssen jeden Tag wieder dafür eintreten.“ Der „Spiegel“-Journalist verteidigte mit Verve die vielfach gescholtenen Berufspolitiker: „Die Herablassung, mit der wir auf die Politiker schauen, ist nicht angebracht. Ich habe viel Respekt vor jemandem, der, wie Angela Merkel, an der Spitze dieses Landes steht“, sagte er. „Wenn Sie das machen wollen, brauchen Sie eine robuste Physis und müssen mit wenig Schlaf auskommen.“
Der Branchennachwuchs interessierte sich indes weniger für Voraussetzungen einer politischen Karriere, sondern wollte vielmehr wissen, ob die Wirtschaft in einer demokratischen Gesellschaft nicht auch nach deren Regeln organisiert werden sollte: „Muss sich die Unternehmenskultur ändern? Sollten Betriebe weniger hierarchisch organisiert sein?“ Welche unguten Erfahrungen in der Frage womöglich mitschwangen, blieb offen. Frank Richter hatte zum Schluss immerhin noch eine versöhnliche Antwort parat: Nur in Freiräumen gedeiht Kreativität.