Die Leipziger Buchmesse war womöglich nie zuvor internationaler und zugleich politischer als in diesem Jahr. Die Auftritte der Autoren des Gastlands Litauen und die Veranstaltungsreihe Europa 21 sind nur zwei Beispiele, die diese Orientierung besonders deutlich widerspiegeln.
Das bewährte Büchermacher-Podium, das traditionell zum Auftakt der Messe ein Diskussionsthema setzt, hätte idealerweise diese Ausrichtung aufs Beste abbilden können. Zwei Verlegerinnen aus dem Ausland und zwei Büchermacherinnen aus Berlin waren eingeladen zum Gespräch über "How Indie Are You? Die Zukunft der unabhängigen Verlage". Die Vermutung: Independent-Verlage setzen in einer globalisierten Welt, in der kulturelle Vielfalt und Freiheit des Wortes keine Selbstverständlichkeit sind, zunehmend auf internationale Vernetzung.
Leider blieb der internationale Aspekt weitgehend auf der Strecke. Die Istanbuler Verlegerin Muge Sokmen, engagierte Leiterin des traditionsreichen Independent-Verlags Metis Publishers, musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Dem Moderator Andreas Platthaus, Literaturchef der "FAZ", blieb nur, die Grüße von Sokmen aus dem Krankenhaus zu verlesen. Muge Sokmen hätte sicher auch einiges darüber erzählen können, wie man Bücher in einem repressiven System in die Öffentlichkeit bringt, was es heißt, dieser Tage Verlegerin in der Türkei zu sein.
Australien mag geographisch weit entfernt sein, aber strukturell ist die dortige Verlagsszene wohl doch recht nah. Jedenfalls konnte Susan Hawthorne, Verlegerin von Spinifex Press in Melbourne (einem dezidiert feministischen Verlag) den Erfahrungen ihrer deutschen Kolleginnen kaum entscheidend anderes hinzufügen. Einig war sich die Runde (komplettiert durch Nikola Richter, Gründerin des auf E-Books spezialisierten Verlags Mikrotext, und die Literaturagentin und frühere Verlegerin Elisabeth Ruge) etwa ganz überwiegend in der Definition dessen, was ein unabhängiger Verlag eigentlich ist.
Es gehe darum, mit Büchern, für die man selbst leidenschaftlich entbrannt ist, Diskussionen anzustoßen, die Gesellschaft zu bereichern, so Hawthorne. Ökonomische Aspekte seien sekundär, die Intention, einen Bestseller zu produzieren, nicht maßgeblich. Nikola Richter sagte es kürzer: "Ich wollte bestimmte Texte lesen, also habe ich sie gesucht und veröffentlicht."
Für eine unterhaltsame Diskussion braucht es nicht unbedingt den Streit, aber ein wenig mehr Kontroverse und ein offensiverer Moderator hätten der Veranstaltung sicher gut getan. Elisabeth Ruge hatte mit ihrer Verlagsschelte dafür schließlich eine wunderbare Vorlage geliefert: Viele hochinteressante Texte gingen unter, weil sie in immer mehr Verlagen schablonenhaft bewertet, und ihre Chancen und Potenziale deshalb verkannt würden. Manuskripte würden mithin nach simplen Kriterien aussortiert. Der Grund dafür: Die Marketingabteilungen hätten überwiegend die Regie übernommen, reine Lektoratsrunden, in denen ausschließlich inhaltlich über einen Text debattiert würde, gehörten der Vergangenheit an.
Die mit ihrer Agentur dennoch enorm erfolgreiche frühere Verlegerin führte auch gleich ein prominentes Beispiel an. Frank Witzels später mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" sei "von mindestens 35 Verlagen in Windeseile" abgelehnt worden. In 75 Prozent der Fälle sei der Umfang als entscheidender Grund genannt wurden.
Der Roman erschien 2015 auf 820 eng bedruckten Seiten beim Vorzeige-Independent-Verlag Matthes & Seitz. Mit dem Deutschen Buchpreis im Rücken wurde der Roman zum Bestseller. Auch solche Erfolgsbücher gibt es zuweilen in unabhängigen Verlagen.