Die Zahl der Feltrinelli Buchläden (in ganz Italien gibt es mehr als 120 Verkaufspunkte) wächst: In Mailand, wo sich auch der Hauptsitz der Feltrinelli Gruppe (u.a. Verlag, Buchhandel und Buchvertrieb, Ricordi-Läden für CD- und Video-Verkauf, TV-Station, Gastronomieeinrichtungen) findet, wurde jetzt die sechste „Libreria Feltrinelli“ der Stadt im neuen Sitz der Bibliothek und Wissenschaftsstiftung Fondazione Feltrinelli eröffnet.
Die Buchhandlung erstreckt sich zusammen mit einem Bistro („Café Babitonga“) über eine Grundfläche von insgesamt 250 Quadratmetern (täglich geöffnet von 8.30 Uhr bis 23 Uhr). Das Sortiment hält 15.000 Titel (22.000 Bücher) mit dem Schwerpunkt Sachbuch und Essayistik bereit, Projekte der Stiftung (etwa zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution 1917) werden mit Thementischen bedient. Aber es werden auch Neuerscheinungen der Belletristik sowie zu Architektur und Kunst angeboten.
Neubau als laizistische Kathedrale
Die Fondazione ist aus der 1949 von Giangiacomo Feltrinelli gegründeten Biblioteca Feltrinelli zur Erforschung der Geschichte der Arbeiter- und Sozialbewegungen hervorgegangen. Der Verlag kam 1955 dazu, 1957 eröffnete in Mailand die erste Feltrinelli Buchhandlung. Der Neubau der Fondazione nimmt vor allem die Bibliothek und das Archiv der Wissenschaftsstiftung auf (1,5 Millionen Archivblätter, 250.000 Bände, mehr als 17.000 Zeitschriften und eine Sammlung mit rund 14.000 politischen Plakaten).
Der langgestreckte gläserne Neubau, der von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron entworfen wurde, wirkt mit seinem gotisch anmutenden Spitzdach wie eine laizistische Kathedrale. Neben Büro- und Tagungsräumen gibt es einen Veranstaltungssaal für bis zu 200 Personen sowie im obersten Stock unter dem Dach einen öffentlich zugänglichen Lesesaal (geöffnet Mo – Do 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr, Fr bis 13.30 Uhr). Die Ästhetik der Inneneinrichtung ist funktional minimalistisch gehalten, was etwa im Bereich der von Licht durchfluteten Buchhandlung wohltuend für Übersichtlichkeit sorgt. Hinter der Kasse ist eine Neoninstallation des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar mit dem Schriftzug „Cultura = Capitale“ angebracht – Kultur und Kapital gehen, so die Botschaft, Hand in Hand.
Herzlich, Ihr Wolfgang Balk
Alfredo Jaar ist ein großer Ironiker. Vor ein paar Jahren pflasterte er Mailand mit Plakaten voll, auf denen zu lesen stand:
“Cultura dove sei?” - “Wo bist du, Kultur?” Auch Carlo Feltrinelli ist Ironie nicht fremd, und wenn er für die Buchhandlung der Fondazione (wo es von Marx wundervolle frühe Ausgaben gibt) die Installation von Jaar wählt, dann auch mit einem Augenzwinkern. Die Leute sollen sich stoßen an solchen künstlerischen Freiheiten. Jeder mag lesen, was er will. Aber er sollte auch den anderen lesen lassen, was der will. Wenn man sich daran stößt, dann haben Jaar/Feltrinelli ins Schwarze getroffen .