Britische Buchbranche vor dem EU-Referendum

Brexit or not?

15. Juni 2016
von Börsenblatt
Wacht die Europäische Union am 24. Juni ohne Großbritannien auf? Oder bleibt es nach der Abstimmung am 23. Juni in der Gemeinschaft? Eine Frage, die auch die britische Buchbranche umtreibt: Es gibt Warner wie den Waterstones-Chef James Daunt und Gelassene wie den Verleger Peter Usborne, der wegen des möglichen Austritts keine gravierenden Folgen erwartet. Und klare EU-Befürworter wie die Vorstandsvorsitzende von Penguin Random House UK, Baroness Gail Rebuck.

James Daunt, Chef der britischen Buchhandelskette Waterstones, warnt vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU und kündigt für den Fall der Fälle bereits Stellenstreichungen an.

In einer E-Mail an seine Mitarbeiter, die das britische Fachmagazin "The Bookseller" gestern exklusiv auf seiner Website veröffentlichte, widerspricht er allen, die glauben, ein Brexit – also ein Ausstieg aus der EU – könnte gut für Land und Leute sein. 

Daunt rechnet mit negativen Folgen: Damit, dass die in den vergangenen Jahre erreichten Erfolge wieder verloren gehen und Waterstones erneut zum Rotstift greifen muss. Brexit – für Waterstones wäre das ein Rückschritt, sagt der Buchhändler, warnt vor der, wie er sagt, „brutalen Realität“ und deutlich sinkenden Umsätzen. Um zu überleben, müsse das Unternehmen Kosten senken, schreibt Daunt – über Stellenkürzungen und stagnierende Löhne.  

Der Waterstones-Chef ist nicht der einzige, der vor einem EU-Aus warnt. Anfang Juni haben, wie berichtet, namhafte europäische Schriftsteller wie Arne Dahl, Mircea Cartarescu, Elfriede Jelinek und Javier Marías sowie Verleger wie Inge Feltrinelli an die britischen Wähler appelliert, für einen Verbleib in der EU zu stimmen (siehe Archiv: "Lasst uns verbunden bleiben").

Eher unbesorgt wirkt hingegen der Verlagsgründer und Geschäftsführer Peter Usborne, der in Deutschland den Usborne Verlag für Kinderliteratur betreibt: "Usborne Publishing hat blühende Geschäfte in den meisten Ländern Europas, wobei der Usborne Verlag gegenwärtig am schnellsten wächst. Ich kann keinen offensichtlichen Grund dafür erkennen, sich über den Austritt Großbritanniens Sorgen zu machen. Fast alle unsere Verträge unterliegen dem Recht des Vereinigten Königreichs, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Handel mit Büchern künftig mit Zöllen belegt wird, erscheint mir verschwindend gering." Usbornes Fazit: "Ich sehe nicht, dass ein 'Brexit' in irgendeiner Weise für Usborne Publishing beunruhigend sein könnte."

Gail Rebuck, die Vorstandsvorsitzende von Penguin Random House UK, hat kürzlich in einem Interview auf der Bertelsmann-Website dezidiert zu den Folgen eines 'Brexit' Stellung genommen und sich für den Verbleib in der EU ausgesprochen. Das Wort der Verlegerin, die zugleich im House of Lords, dem Oberhaus des britischen Parlaments, sitzt, hat Gewicht. Das Referendum am 23. Juni sei eine individuelle Abstimmungsentscheidung, aber die Führungsebene aller Bertelsmann-Unternehmen in Großbritannien sei einmütig dafür, in der Europäischen Union zu bleiben – aus einer Vielzahl von strategischen und wirtschaftlichen Gründen.

Auf die Frage, ob ein 'Brexit' die Medien- und Kreativindustrien Großbritanniens treffen könnte, sagt Rebuck: "Die EU hat dem Vereinigten Königreich geholfen, eine kreative Hochburg zu werden. Das rührt zum einen Teil daher, dass die EU die Kreativindustrien finanziell gefördert hat, und zum anderen Teil daher, dass die Fähigkeit zum freien Handel mit 27 anderen Ländern in Europa die Kulturexporte jahrzehntelang verstärkt hat und zugleich britischen Künstlern die Möglichkeit gab, über Grenzen zu reisen und zusammenzuarbeiten." Es sei daher besser für Großbritannien, einen Sitz an dem Tisch zu haben, der die Politik für Europa beeinflusst.

Über praktische Folgen eines 'Brexit' für die Bertelsmann-Unternehmen kann Gail Rebuck nur spekulieren: "Das größte Problem ist, dass wir dazu nichts sagen können, weil niemand weiß, wie ein 'Raus' aussieht. Das ist einer der Gründe, weshalb wir denken, dass es ein zu großes Risiko wäre." Es könne zwar auch einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt geben, wenn man austritt, aber kein Zugang wäre so gut wie das Abkommen, das man im Augenblick habe.

tw, roe