Bedeutender deutscher Zeithistoriker gestorben

Hans Mommsen ist tot

6. November 2015
von Börsenblatt
Der Historiker Hans Mommsen ist am 5. November, an seinem 85. Geburtstag, nach langer Krankheit in der Nähe des Starnberger Sees gestorben. Er lehrte und forschte fast 30 Jahre lang an der Ruhr-Universität Bochum (RUB), konzentrierte sich auf die deutsche Geschichte zwischen 1918 und 1945.

"Wir trauern um ein herausragendes Mitglied unserer akademischen Gemeinschaft", sagt Prof. Dr. Axel Schölmerich, Rektor der RUB, in einem Nachruf. "Hans Mommsen war ein international höchst angesehener Wissenschaftler. Die Ruhr-Universität Bochum hat ihm außerordentlich viel zu verdanken."

Hans Mommsen wurde 1968 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl Neuere Geschichte II berufen und gehörte zur Gründergeneration der 1965 eröffneten Ruhr-Universität Bochum. Mommsen habe die damalige Abteilung für Geschichtswissenschaft mit aufgebaut und in den frühen 70er Jahren mit großem Engagement die Errichtung des Instituts zur Geschichte der Arbeiterbewegung betrieben, dessen Direktor er von 1977 bis 1983 war. In insgesamt mehr als zweieinhalb Jahrzehnten Lehr- und Forschungstätigkeit (1968−1996) habe er über 40 Dissertationen an der RUB betreut. Sein Hauptarbeitsgebiet war die deutsche Geschichte zwischen 1918 und 1945 − er zählet zu den bedeutendsten Historikern zum Thema Nationalsozialismus. Mehrere Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte führten ihn etwa an die Harvard University, nach Princeton, Berkeley und Jerusalem. Auch als Emeritus blieb er viele Jahre lang aktiv, so die RUB-Miteilung weiter. Sein letztes Buch erschien im vergangenen Jahr im Wallstein Verlag.

Hans Mommsen entstammt einer bedeutenden Historiker-Familie. Er wurde am 5. November 1930 mit seinem Zwillingsbruder Wolfgang − ebenfalls ein Historiker, ehemaliger Professor an der Universität Düsseldorf und im Jahr 2004 verstorben – als Sohn des Historikers Wilhelm Mommsen und Urenkel des Althistorikers Theodor Mommsen in Marburg geboren.

In Marburg und Tübingen studierte Hans Mommsen Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft − nach der wissenschaftlichen Staatsprüfung wurde er 1959 mit einer Arbeit über "Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im Habsburger Vielvölkerstaat 1867−1907" promoviert. Von 1960 bis 1963 arbeitete Mommsen als Referent am Institut für Zeitgeschichte in München, von 1963 bis 1967 als Wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg, wo er sich 1967 habilitierte.

Der Wallstein Verlag würdigt den Verstorbenen als "großen Historiker des 20. Jahrhunderts, der uns die unvorstellbaren Verbrechen des Völkermordes an den europäischen Juden nicht als die Taten Einzelner, sondern aus Strukturen und Funktionen erklärt und damit unser historisches Wissen grundlegend erweitert hat." Mit Hans Mommsen verliere "die Geschichtswissenschaft einen der bedeutendsten, prägenden und schulbildenden Gelehrten". Und der Göttinger Verlag fährt fort: "Seine freundschaftliche Zugewandtheit zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die seine Enkel hätten sein können, hat uns begeistert."

Mommsen erhielt 1998 den Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik der Stadt Oldenburg, 2010 den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch für sein Gesamtwerk und 2013 den Victor-Adler-Staatspreis für Geschichte sozialer Bewegungen (beide Österreich).

Lieferbare Titel von Hans Mommsen (Auswahl):

  • "Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar 1918−1933" (Ullstein Tachenbuch Verlag, 2000)
  • "Die 'rote Kapelle' und der deutsche Widerstand gegen Hitler" (Klartext, 2012)
  • "Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa" (Wallstein, 2014). Für diese Ausgabe hat Mommsen den Band "Auschwitz, 17. Juli 1942" (2002) erweitert und auf den neuesten Forschungsstand gebracht.