"Die Luft ist dünn"
Umbreit ist das kleinste deutsche Barsortiment – und muss besonders klug wirtschaften. Vertriebschefin Solvey Munk und Einkaufsleiterin Ingrid Stratmann über Herausforderungen und neue Chancen nach der KNV-Insolvenz.
Umbreit ist das kleinste deutsche Barsortiment – und muss besonders klug wirtschaften. Vertriebschefin Solvey Munk und Einkaufsleiterin Ingrid Stratmann über Herausforderungen und neue Chancen nach der KNV-Insolvenz.
Das Barsortimentsgeschäft ist hart, große Sprünge kann hier keiner machen. Wie ist die wirtschaftliche Lage bei Umbreit?
Solvey Munk: Die Luft ist dünn! Wir haben fast zehn Jahre die Zustellgebühren nicht mehr erhöht, und das bei stetig steigenden Kosten. Das ist eigentlich völliger Wahnsinn. Aber in einem Markt mit drei Teilnehmern ist es natürlich nicht möglich, dass nur einer dauerhaft die Kosten erhöht. Auf der anderen Seite wissen wir, dass auch der Buchhandel nicht genug Geld hat, um viel mehr zu zahlen. Dennoch: Wir können selbstbewusst sagen, dass wir sehr gut wirtschaften und das unter diesen wirklich schwierigen Bedingungen. Und wir blicken heute positiver in die Zukunft als noch vor zwei Jahren. 2018 haben wir einen großen Teil der Umsätze der Arbeitsgemeinschaft Marketing (AGM) verloren, das war schon ein Volumen, das wir nicht so leicht auffangen konnten. Die Jahre davor und danach hatten wir aber eine wirklich sehr gute Entwicklung. Wir achten immer darauf, dass wir Geschäfte machen, bei denen die Margen so sind, dass wir kein Geld mitbringen müssen. Lieber verzichten wir mal.
Könnten die Barsortimente wirtschaftlicher arbeiten, wenn die Anzahl der Belieferungstage reduziert würde?
Munk: Ich halte das für sehr schwierig in Konkurrenz zum Onlinehandel. Die Kunden sind die Belieferung am nächsten Tag einfach gewohnt. Außerdem würden wir nur nennenswerte Effekte erzielen, wenn sich Händler in einer Region auf bestimmte Tage einigen würden. Scheren welche aus, verpufft die Wirkung, denn dann fahren wir die Tour trotzdem, nur eben mit weniger Büchern. Da müsste schon ein Gesamtkonzept für die Branche her. Das sehe ich im Moment nicht.
Hat Umbreit von der KNV-Insolvenz profitiert?
Ingrid Stratmann: Vonseiten der Verlage werden wir auf jeden Fall stärker als zuvor als zuverlässiger Partner mit konstant guter Leistung wahrgenommen. Die Verlage schätzen unsere Flexibilität, unsere Kommunikation und die Tatsache, dass wir gerade im vergangenen Jahr leistungs- und lieferfähig waren. Unmittelbar nach der Insolvenz haben wir uns eng abgesprochen bezüglich der Bevorratung der Titel und wie wir weiter verfahren. Es wurde sehr geschätzt, dass wir so spontan und flexibel gehandelt haben. Diese veränderte Wahrnehmung hat uns manche Tür geöffnet, die uns bisher verschlossen geblieben war. Das schlägt sich natürlich auch in den Umsätzen nieder.
Munk: Trotz aller Turbulenzen des vergangenen Jahres haben wir eine sehr positive Geschäftsentwicklung. Uns wurde nicht nur hoch angerechnet, wie wir in der Insolvenzphase von KNV agiert haben, sondern es wurde stärker anerkannt, wie wir generell arbeiten. Wenn sich ein Markt plötzlich auf dramatische Weise verändert, dann verändert sich auch der Blick auf die Glaubwürdigkeit oder Zuverlässigkeit der Geschäftspartner. Die Marktteilnehmer haben erkannt, wie wertvoll es sein kann, dass wir ruhiger und weniger aggressiv agieren – auch wenn uns genau das hin und wieder sogar schon vorgeworfen wurde. Wir hatten natürlich sehr viele Anfragen, die Buchhändler waren beunruhigt, wollten ein Back-up haben. Dazu hatten wir durch die Beendigung der Transportkooperation mit KNV einige Hausaufgaben zu erledigen. Innerhalb von vier Wochen galt es, die Fahrten in 70 bis 80 Prozent des Bundesgebiets umzustellen. Zu dieser Zeit war jeder Tag eine Wundertüte.
Warum geht es mit den Kooperationsgesprächen für einen gemeinsamen Bücherwagendienst nicht voran?
Munk: Letztlich ist es Irrsinn, was wir Barsortimente da machen. Jeder fährt für sich allein in die hintersten Ecken Deutschlands. Spätestens wenn das Klimapaket greift und die Transportkosten weiter steigen, kommen wir um eine Kooperation nicht herum. Für uns ist es jedoch ganz wichtig, dass es eine gleichberechtigte Partnerschaft ist. Aufgrund der extrem hohen Komplexität der Buchhandelslogistik kann ein solches Projekt aber nicht kurzfristig gedacht und geplant werden.
Apropos gleichberechtigt: Ist Umbreit den beiden größeren Barsortimenten bei den Konditionen gleichgestellt?
Stratmann: Nein – sicher nicht überall. Eine Gleichstellung ist aber unser Ziel. Wir möchten für die gleiche Leistung die gleichen Konditionen erhalten. Mit den Umsatzsteigerungen bei den Verlagen kommen wir diesem Ziel einen Schritt näher.
Die Konzentration im Handel trifft natürlich auch Umbreit. Wie stark merken Sie das?
Munk: Die Veränderungen im Markt bereiten auch uns Sorgen. Es vergeht kaum eine Woche ohne die Mitteilung, dass eine Buchhandlung schließt. Hinzu kommen noch die Buchhandlungen, die von den Filialisten übernommen werden. Auch dann reduziert sich in der Regel der Barsortimentsumsatz. Mit einem ausgedünnten Buchhandelsnetz wird der Lieferservice für uns immer teurer, weil wir für kleinere Mengen oder für weniger Kunden am Ende nahezu die gleichen Strecken fahren. Aber immerhin: Im Moment ist es für uns leichter, neue Buchhandlungen zu akquirieren oder die Zusammenarbeit mit bestehenden Kunden auszubauen. Allerdings gilt bei uns, dass Volumen nicht alles ist.
Libri hat im vergangenen Jahr zahlreiche kleinere Verlage ausgelistet und damit für Empörung gesorgt. Wie gehen Sie mit dieser Kundengruppe um?
Stratmann: Wir bereinigen unser Lager jährlich, haben aber vergangenes Jahr so viele Gespräche mit kleineren Verlagen geführt wie noch nie zuvor. Die Verlage befürchteten, auch noch bei uns ausgelistet zu werden. Wir haben jedoch an unseren Vorgaben nichts geändert, sind nicht strenger oder radikaler geworden, sondern haben das getan, was wir immer tun: unser Lager sauber gehalten. Wir haben versucht, denjenigen Verlagen entgegenzukommen, die besonders in Not waren und haben die Lagerbereinigung gesplittet oder verschoben. Viele Verlage berichten uns, dass sie ihre Programme reduzieren müssen oder ihre Autoren nicht bezahlen können. Aber auch wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, und unser Credo ist es, nicht eine bestimmte Menge von Titeln im Lager zu haben, sondern die richtigen.
Die Barsortimente bieten einen bunten Strauß an Leistungen an. Stimmt das Angebot noch?
Stratmann: Insgesamt ist unser Portfolio sehr gut, aber man kann sich natürlich immer weiter verbessern. Wir müssen uns beispielsweise beim Thema Content verstärken, um den gestiegenen Ansprüchen von Buchhandlungen an redaktionelle beziehungsweise kuratierte Inhalte für ihre Webshops nachzukommen und Verlagen die Möglichkeit zu geben, sich dort gut zu präsentieren. Daran arbeiten wir.
Wo sehen Sie noch Wachstumspotenzial?
Munk: Das B2C-Geschäft legt ordentlich zu. Das ist einerseits sehr schön, andererseits ist es viel aufwendiger und kleinteiliger. Wir haben deshalb für das B2C-Geschäft eine neue Fördertechnik gebaut, sodass wir ein deutlich höheres Volumen mit schlanken Prozessen abwickeln können. Die Webshops der Buchhandlungen und einige Buchhändler, die nur im Netz präsent sind, weisen schöne Wachstumsraten aus. Dieser Bereich wird sicher noch weiter wachsen.
Welche wichtigen Projekte stehen auf Ihrer To-do-Liste?
Munk: Wir haben die Kapazitäten in unserem Frachtzentrum verdreifacht, sodass wir neue Volumina aufnehmen können. Hier arbeiten wir weiter an internen Optimierungsmöglichkeiten. Auch Akquisition ist ein immerwährendes Projekt. Außerdem wollen wir das Thema Print on Demand durch Kooperationen weiter ausbauen.
Umbreit ist Partner der LG Buch. Wie entwickelt sich diese Partnerschaft?
Munk: Bei der LG Buch ist momentan viel Bewegung. Es sind neue Mitglieder hinzugekommen, die neue Geschäftsführung hat in den vergangenen Monaten viel bewegt, und auch einige neue Verlage testen das Modell für sich. Das macht uns Freude.
Wie unterstützen Sie Ihre kleinen und mittelständischen Buchhandelskunden?
Stratmann: Für uns ist es ganz wichtig, optimal lieferfähig zu sein. Dabei orientieren wir uns ganz eng am Bedarf unserer Kunden. Wir haben einen manuellen Einkauf mit strengen Richtlinien, keinen automatischen. Zusammen mit den Verlagen machen wir uns Gedanken darüber, welche Aktionen gut für kleinere oder mittlere Buchhandlungen passen könnten, schnüren kleinere Pakte zu Sonderkonditionen etc.
Sie bieten Ihren Kunden ein Sortiment von ca. 6.000 Non-Books. Wie läuft dieser Bereich?
Stratmann: Die Non-Books haben sich in den vergangenen Jahren zu einer stabilen Umsatzgröße entwickelt. Geschenkartikel sowie Produkte, die eine Themenwelt abrunden, werden gern genommen. Auf dem absteigenden Ast sind dagegen DVDs, die die Konkurrenz des Streamings zu spüren bekommen. Hier nehmen Angebot und Zahl der Lieferanten ab.
Welche Non-Books boomen?
Stratmann: Spiele machen richtig Spaß und passen hervorragend zum Buch. Hier verzeichnen wir deutlich steigende Umsätze. Uns kommt entgegen, dass die Abläufe mit den Lieferanten ähnlich sind wie bei den Verlagen und wir mit manchen Spieleanbietern schon viele Jahre zusammenarbeiten. Es erscheinen regelmäßig Novitäten, und es gibt Präsentationen der Spiele. Buchhandlungen können ihre Fachkompetenz und das Vertrauen ihrer Kundschaft nutzen und sich ein interessantes Geschäftsfeld aufbauen.
Kein Interview mehr ohne die Klimafrage: Was tut Umbreit für die Umwelt?
Munk: Wir haben schon seit 2007 eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, außerdem wird ein Teil unserer Hallen komplett mit Erdwärme versorgt. Bei Kartonagen und Verpackungen achten wir auf umweltfreundliches Material und Umweltsiegel. Unsere Pappwannen sind 25- bis 30-mal im Einsatz, bevor sie aussortiert und recycelt werden. Ganz neu sind unsere Luftreinigungsanlagen, die wir im Lager stehen haben und die kaum Strom verbrauchen. Sie filtern Staub und Schmutz aus der Luft. Das kommt den Mitarbeitern zugute, aber auch den Büchern, die ja nun häufig ohne Folie angeliefert werden. Sie verstauben deutlich weniger.
Stratmann: Im Einkauf registrieren wir eine verstärkte Nachfrage nach Recycling-Geschenkpapier. Das war vor einigen Jahren noch anders.
Logistiker haben häufig mit Personalmangel zu kämpfen. Sie auch?
Munk: Personalrekrutierung ist für uns eine große Herausforderung. Rund um Ludwigsburg und Stuttgart herrscht nahezu Vollbeschäftigung, und wir haben gerade im technischen Betrieb Schwierigkeiten, die passenden Mitarbeiter*innen zu finden. Wir können gehaltsmäßig nicht mit der Automobilbranche mithalten, das gibt unsere Branche einfach nicht her. Unser Pfund, mit dem wir wuchern können: Wir haben ein sehr gutes Betriebsklima und sind an langfristiger Zusammenarbeit interessiert. So erarbeiten wir uns die Loyalität der Mitarbeiter*innen.
Der gleichen Meinung bin ich bei der Briefzustellung durch die Post. Jeder zweite Tag wäre ausreichend.
Dieser Geschwindigkeits-Hype muss durchbrochen werden.