Interview mit Jörn Redler zu Visual Merchandising

"Der Laden wird immer mehr zum Showroom"

7. Dezember 2018
Redaktion Börsenblatt
Visual Mechandising, das Thalia und Hugendubel bei ihren neuen Ladenkonzepten nutzen, sei eine Kernaufgabe für jeden Buchhändler, sagt Marketing-Professor Jörn Redler. Was hinter dem Konzept steht und wie es auch kleinere Buchhandlungen nutzen können, erklärt er im Interview.

Worauf kommt es beim Visual Merchandising an?

Jörn Redler: Visual Merchandising dreht sich allgemein um die Darstellung und Inszenierung von Sortiment und Einkaufsstätte am physischen Point-of-Purchase, also insbesondere Läden. Zu gestalten sind dabei im Speziellen vor allem eine gute Orientierungsleistung, förderliche atmosphärische Wirkungen, spezifische Erlebnisse und prägende Interaktionsmöglichkeiten. Beachten sollte man zudem die Sichtbarmachung von markentypischen Design-Elementen wie dem Markennamen, dem Logo oder typischen Farbkonzepten.

Was will man damit erreichen?

VM zielt darauf ab, (potenzielle) Käufer anzuziehen und sie auf der Fläche zu halten, bei ihnen Käufe anzuregen und bei ihnen letztlich positive Erfahrungen zu hinterlassen. Für den Handel ist VM zudem ein zentrales Mittel der Markenkommunikation und damit der Markenbildung. Im Onlinebereich gibt es das Konzept des Online Visual Merchandising (OVM).

Zum Buchhandel: Kommt VM nur für Filialisten infrage?

Nein. Es ist eine Kernaufgabe für jeden Buchhändler, egal ob groß oder klein, ob filialisiert oder solitär. Filialisten haben dabei die Anforderung von Standardisierung, aber ggf. auch andere Spielräume. Unabhängige Händler können jedoch genauso gut ihre Story erfinden und beim VM realisieren. Der Knackpunkt ist hier wohl eher die Professionalität, mit der man sich als Händlermarke (Store Brand) versteht und ausrichtet.

Was kann der Laden zur Store Brand, manche sagen: Händlermarke, beitragen?

Der Laden ist der wichtigste und prägendste Kontaktpunkt der Kunden mit dem Buchhändler. Er prägt die abgespeicherten Bilder, Gefühle oder Inhalte von Kunden zu einem Buchhändler am stärksten. Da sich eine Marke − in diesem Fall eine Händlermarke − nach modernem Verständnis aber genau in solchen abgespeicherten Bildern, Gefühlen oder Inhalten manifestiert, besteht mit dem Laden der entscheidende Hebel auf dem Weg zur starken Marke. Aus dieser Sicht hat VM sicherzustellen, dass der gesamte Laden und zugehörige Erlebnisse des Kunden die Markenidee ausdrücken. So kann der Buchhändler dafür sorgen, dass Kunden länger im Laden sind, Bindungen ausbilden und positive Erfahrungen weitergeben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass eine klare Markenidee für den Buchhändler vorliegt und sich diese auch klar von Mitbewerbern differenziert.

Wie lässt es sich am besten im stationären Buchhandel umsetzen?

Um geeignete Lösungen zu finden, kann man sich gut an den Teilaufgaben Schaffung von Orientierung, Vermittlung einer positiven Atmosphäre, Vermittlung von Erlebniswirkungen, Gestaltung von Interaktionen und der Sichtbarmachung von Markenelementen entlanghangeln. Das gilt natürlich auch für den stationären Buchhandel.

Es könnten etwa Themenbereiche des Sortiments durch begehbare Welten umgesetzt werden, in denen zudem passende interaktive Aktionen Storys oder Ideen einzelner Bücher oder Teilgeschichten aufgreifen. Hier sind im Prinzip Dramaturgen und Bühnenbildner gefragt. Überhaupt kann man sich für diesen Bereich sicher gut von der Theater-Metapher leiten lassen. Eine besondere Rolle haben ein gutes „Staging“ wie auch das Auftreten des Verkaufspersonals. Über Schaufenster, die zunehmend digital und interaktiv umgesetzt werden können, können aktivierungsstarke und erlebnisgeladene Impulse sogar über die Ladengrenzen hinaus wirken.

Der Buchhändler sollte über klare und starke Markenelemente verfügen, die auch auf der Fläche integriert werden. Dies bewirkt, dass sich diese Elemente beim Kunden leicht und automatisch einprägen. Und das Ganze muss natürlich online verlängert sein. Das Thema Orientierung wiederum kann durch Personal, durch digitale Hilfen oder traditionelle Leitsysteme (oder eine Kombination) umgesetzt werden.

Auf was sollten insbesondere kleinere Buchhandlungen achten? Wie könnten diese von VM profitieren?

Ich würde einerseits empfehlen, in die Markenbildung zu investieren. Also erst einmal zu erarbeiten, was den einzelnen Händler gegenüber anderen Anbietern besonders macht bzw. machen kann, um dann genau diesen Aspekt in allem Kontaktpunkten mit Kunden zum Leben zu erwecken. Andererseits könnte man über die Chancen von ausgewählten Kooperationen mit anderen (Buch-)händlern nachdenken, um überhaupt die notwendige Wirkungsstärke und Sichtbarkeit bei den Zielgruppen zu erreichen.

Wenn man eng am VM-Thema bleibt, gilt es etwa darüber nachzudenken, wie gerade Atmosphäre und Interaktion durch das Personal positiv gestaltet werden kann. Dabei könnte zum Beispiel mit Online-Medien und spezifischen Online-Tools gearbeitet werden, um objektiv bestehende Nachteile gegenüber größeren Buchhändlern aus Kundensicht unwesentlich erscheinen zu lassen. In der digitalen Welt könnten sie jedenfalls ständig beim Kunden dabei sein. Das setzt aber wieder voraus, dass man sich darum kümmert, eine starke und relevante Händlermarke zu werden. Und: Kann ich als kleinerer Wettbewerber, gegebenenfalls als Spezialist, nicht auch ein spezifisches Erlebnis anbieten?

Wie können Buchhändler auf solche Erlebnisse aufmerksam machen?

Buchhändler, die sich auf ein spezielles Konzept oder Erlebnis festlegen, müssten etwa über Influencer auch in den Sozialen Medien sichtbar werden. Hier sieht man wieder die Vernetzungen. Und der Buchhändler, auch der kleinere, muss begreifen, dass es nicht mehr nur um die Verfügbarmachung von Büchern oder Medien gehen kann. Vielmehr: was sind Mehrwerte im Sinne von besonderen Erfahrungen, Erleichterungen oder emotionalen Zusatznutzen? Wenn so etwas angegangen wird, leistet VM im Laden die entscheidenden Beiträge, dem Leben einzuhauchen.

Was sollte man beim VM tunlichst vermeiden?

Leider wird VM zu oft auf Ladendekoration und Warenplatzierung reduziert. Besser wäre es, stets im Gesamtbild zu denken und bei allen VM-Entscheidungen kritisch zu prüfen, ob diese die langfristige Markenidee unterstützen. Fatal wäre es, beim VM die sich wandelnde Rolle des stationären Ladens zu ignorieren. Der Laden wird immer mehr zum Showroom, zum Mittel der Erlebnisproduktion. 

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Jörn Redler ist Professor für ABWL, insbesondere Marketing an der Hochschule Mainz. Anfang 2018 ist von ihm erschienen: "Die Store Brand − Einkaufsstätten als Marken verstehen, aufbauen und steuern" (Springer Fachmedien).