Fachtagung: Künstliche Intelligenz in der Buchbranche

"Löst Euch vom Perfektionismus-Gedanken"

22. April 2024
von Sabine Cronau

Läutet KI eine Zeitenwende auf dem Buchmarkt ein? Antworten suchte und lieferte die digitale Fachtagung „Seitenwende“, organisiert von Börsenblatt und mediacampus frankfurt. Ein Zauberwort der Zukunft könnte lauten: Kollaboration. Und zwar mit Chatbots wie mit Wettbewerbern.

Wir haben bei dem Projekt mit Carlsen ungeheuer viel gelernt.

Okke Schlüter, Hochschule der Medien, Stuttgart

Vom Text zur Graphic Novel - ein Experiment

Lassen sich gemeinfreie Klassiker mit KI-Unterstützung in Graphic Novels verwandeln? Das hat die Hochschule der Medien in Stuttgart zusammen mit dem Carlsen Verlag getestet. Statt einzelne Bilder mit Künstlicher Intelligenz zu kreieren, ging es in diesem Fall also gleich um längere Bildstrecken. Auch wenn das Ergebnis noch nicht ganz zufriedenstellend war: „Wir haben dabei ungeheuer viel gelernt“, so Okke Schlüter, Dekan am Studiengang Media Publishing.

Bei der Fachtagung „Seitenwende“, die sich auf Einladung von Börsenblatt und mediacampus frankfurt, am 18. April mit dem Thema KI in der Buchbranche beschäftigte, gab Schlüter einen kurzen Einblick in das Graphic-Novel-Experiment. Hermann Eckel, Sprecher der IG Digital im Börsenverein, betonte nach der kurzen Projektskizze: „Die Betonung liegt auf noch nicht zufriedenstellend“.

Mit dem Beispiel war schnell abgesteckt, welche ungeheuren Chancen KI für den Buchmarkt mit sich bringt. Und welche Risiken: Denn Klassiker mit der Kraft künstlicher Intelligenz in Graphic Novels zu verwandeln – dafür braucht es in naher Zukunft nicht zwingend die Expertise eines Verlags und seiner Lektor:innen.

Löst Euch vom Perfektionismus-Gedanken, probiert etwas aus, macht Fehler – und werdet beim nächsten Mal besser.

Andreas Ländle, Holtzbrinck-Tochter Chaptr

Das Holtzbrinck-Projekt NOA

Schon jetzt fluten KI-generierte Ratgeber die großen Online-Shops. KI allein werde wohl niemandem den Job wegnehmen, „aber vielleicht ein anderer Mensch, der KI nutzt“: Das machte Andreas Ländle in seiner einführenden Keynote deutlich. Er gehört zu den Gründern und Lenkern von Chaptr.

Die 100prozentige Holtzbrinck-Tochter entwickelt für die Unternehmensgruppe gerade das Projekt NOA (no ordinary assistant). Das Tool arbeitet mit mehreren KI-Modellen und schneidet sie auf Holtzbrinck-Bedürfnisse zu. Denn alle vorhandenen Systeme haben Stärken, die sich im Idealfall kombinieren lassen.

So liefere das Tool Claude beispielsweise deutlich bessere Buchbesprechungstexte, als sie sich etwa mit ChatGPT generieren lassen, so Ländle. Er gab der Runde vor allem einen zentralen Rat mit auf den Weg: „Löst Euch vom Perfektionismus-Gedanken, probiert etwas aus, macht Fehler – und werdet beim nächsten Mal besser.“

„Alles, was wir automatisieren können, müssen wir automatisieren - schon aus Kostengründen.“

Hermann Eckel, Sprecher der IG Digital im Börsenverein

Routine-Aufgaben und Verlagsprozesse automatisieren – und damit Zeit für das Schreiben und Lektorieren gewinnen: Darin liegen für KI-Beraterin und Trainerin Katja Krause die großen Vorteile für Verlage und Autor:innen: „Dann haben Autorinnen und Autoren auch wieder mehr von den Verlagen. Die Teams in den Verlagen sind künftig menschliche, kreative Wegbegleiter, die sich mit KI auskennen.“ Schon heute lasse sich ein Sachbuch mit Künstlicher Intelligenz in einer Stunde durchplotten: „Aber ganz ehrlich: Wer will das?“

Autor:innen und Wissenschaftler:innen bestmöglich zu unterstützen und ihre Bücher offensiv zu vermarkten: Darin sieht auch Hermann Eckel die größten Pluspunkte von KI. Sein Appell: Nicht nur die Möglichkeiten generativer KI im Blick haben, sondern auch das Potenzial, das sich beispielsweise bei Auflagenkalkulation, Distribution und Marketing ergibt: „Alles, was wir automatisieren können, müssen wir automatisieren, schon aus Kostengründen.“

Thomas Minkus

Wenn Mitarbeiter:innen merken, wie viel leichter Routine-Arbeiten zu erledigen sind, erkennen sie die Chancen von KI. Das ist oft ein Prozess weniger Wochen.

Thomas Minkus, Veristage

Thomas Minkus, Mitgründer des Start-ups Veristage (AI for the Publishing Industry), macht derzeit die Erfahrung, dass Mitarbeiter:innen zunächst sehr zurückhaltend sind, wenn die Geschäftsführung KI-gestützte Prozesse im Unternehmen einführen will: „Da kommen viele Ängste hoch“. Nach einer gewissen Zeit jedoch ändere sich das: „Wenn die Menschen merken, wie viel leichter Routine-Arbeiten zu erledigen sind, erkennen sie die Chancen von KI. Das ist oft ein Prozess weniger Wochen.“

Klar ist aber auch: Für KI müssen Verlage Geld in die Hand nehmen: „Da scheut im Moment noch mancher vor zurück“, so Katja Krause: „Doch die guten Tools wie Midjourney, ChatGPT 4 oder Perplexity gibt es nicht mehr umsonst. Verlage müssen dazu bereit sein, die Arbeitsplätze entsprechend auszustatten.“

Die guten Tools wie Midjourney, ChatGPT 4 oder Perplexity gibt es nicht mehr umsonst. Verlage müssen dazu bereit sein, ihre Arbeitsplätze entsprechend auszustatten.

Katja Krause, KI-Beraterin und Trainerin

KI-Stammtisch in Stuttgart

Verlage sollten sich deshalb zusammentun, um Lernprozesse ressourcenschonend zu gestalten: Das empfiehlt Okke Schlüter aus Hochschul-Perspektive. Zusammen mit Tom Erben, Geschäftsführer beim Landesverband Baden-Württemberg des Börsenvereins, hat er im Raum Stuttgart einen KI-Stammtisch gegründet: In der „AI Lounge Publishing“ kommen alle zwei Monate Verlage zusammen, um sich auf Arbeitsebene auszutauschen: Wer verwendet welches Tool? Welche Rechte-Probleme tun sich auf?

Okke Schlüter rief zur Kooperation auf: „Ich weiß, als Hochschullehrer habe ich da leicht reden – als Unternehmer haben Sie vielleicht einen anderen Blick auf das Thema“.

Dass sich Unternehmen Kooperation und „Open Innovation“ erst einmal trauen müssen: Das weiß auch Norbert Barnikel, Trainer und Lehrbeauftragter der Quadriga University of Applied Sciences. Aber: „Eine der großen Challenges von KI sind die Kosten. Da lassen sich gemeinsam viel leichter Wege ebnen.“

Künstliche Intelligenz könnte unsere Vorstellung von Originalität verändern.

Jenifer Becker, Universität Hildesheim

Was KI für Autor:innen bedeutet

Mehrere Praxissessions ergänzten die Tagung – darunter eine zum Thema KI und Schreiben. Jenifer Becker beschäftigt sich an der Universität Hildesheim mit Künstlicher Intelligenz. Sie sieht KI auf dem Weg zum kollaborativen Partner der Autor:innen – und hält es durchaus für möglich, dass KI die verbreitete Vorstellung von Originalität und vom künstlerischen Genie verändern wird.

Für Genre-Texte, die klaren Regeln folgen (wie zum Beispiels Romance), sei künstliche Intelligenz schon heute gut geeignet. „Was KI jedoch nicht kann: autobiografische Erfahrungen machen und verarbeiten. KI hat auch kein Bewusstsein und kein emotionales Innenleben“, so Becker. Ob sich das ändern wird? Eine der spannenden Zukunftsfragen. 

Tools und Tipps

Konkrete Tipps rund um aktuelle Tools gab es bei der Tagung natürlich auch. Vier Beispiele

  • Perplexity: Mischung aus Suchmaschine und Chat-Bot – mit der Möglichkeit, relevante Quellen individuell zu definieren. „Ein Top-Tool, das jeder mal probiert haben sollte“ (Katja Krause), „Perplexity hat bei mir schon lange Google ersetzt“ (Norbert Barnikel).
  • Claude: „für Buchbesprechungstexte besonders geeignet“ (Andreas Ländle)
  • Oskar.tools: Newsletter rund um neue KI-Werkzeuge. „Jeden Montag gibt es einen Tipp“ (Hermann Eckel)
  • Das Buch „Co-Intelligence. Living and Working with AI“ von Ethan Mollick (WH Allen / Penguin). „Es gibt eine gute Zusammenfassung zum Stand der Dinge – und dazu, warum wir uns mit KI beschäftigen sollten“, so Thomas Minkus. Ein guter Grund: „Wir können die Rahmenbedingungen für die Nutzung von künstlicher Intelligenz nur mitgestalten, wenn wir wissen, worum es geht.“

Prompting & Co.

Noch mehr Impulse lieferten weitere Praxistipps und das Schlusswort von Arne Engelbrecht:

  • Wie muss das Prompting aussehen, damit Chat GPT die Inhaltsangabe eines Provence-Krimis in ein nützliches Factsheet mit Metadaten, Lesemotiven, Website-Text und Facebook-Post verwandelt? (mit Hermann Eckel)
  • Wie kann ich mir meinen eigenen KI-Assistenten bauen? (mit Michael Schickerling, schickerling.cc – concept & content)
  • Was bedeutet KI für das Thema Übersetzung? (mit Übersetzerin Heide Franck)
  • Was können die gängigen Tools für die Bildgenerierung? (mit Illustrator David von Bassewitz)
  • Wo liegen die rechtlichen Fallstricke? (mit Susanne Barwick, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins)
  • KI meets Modern Work – Wie wir mehr leisten mit weniger Aufwand (mit Arne Engelbrecht, Geschäftsführer Salt and Pepper Holding)