Sechs aus zwanzig: die Shortlist
Die Jury des Deutschen Buchpreises hat aus den zwanzig Titeln der Longlist die sechs Romane ausgewählt, die nun ins Finale gehen - das ist die Shortlist zum Deutschen Buchpreis.
Die Jury des Deutschen Buchpreises hat aus den zwanzig Titeln der Longlist die sechs Romane ausgewählt, die nun ins Finale gehen - das ist die Shortlist zum Deutschen Buchpreis.
Legt man diese sechs Romane nebeneinander, kommen sie unweigerlich miteinander ins Gespräch. Dieses Gespräch handelt von all dem, was unsere Gegenwart ausmacht und herausfordert. Darüber wird mit viel Scharfsinn, aber auch Witz und Wärme geschrieben.
Katharina Teutsch, Jurysprecherin
Jurysprecherin Katharina Teutsch begründet die Auswahl der sechs Titel: „Sechs Romane, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Sie spielen zu unterschiedlichen Zeiten, beschreiben unterschiedliche Milieus in unterschiedlichen Ländern und finden dafür die je überzeugendsten Ausdrucksmittel. Legt man diese Sechs aber nebeneinander, kommen sie unweigerlich miteinander ins Gespräch. Dieses Gespräch handelt von unseren Prägungen: von Erziehung und sozialer Herkunft, von politischen Ideologien, von dramatischen Systemwechseln und den Härten der Migration – von all dem also, was unsere Gegenwart ausmacht und herausfordert. Darüber wird mit so viel Scharfsinn, aber auch Witz und Wärme geschrieben, dass wir uns nach der Lektüre dieser Shortlist nicht nur die Frage stellen, wo wir herkommen, sondern auch wo wir hinwollen.“
Eine junge Frau verfällt einem Mann. Die Frau heißt Muna, der Mann heißt Magnus, und was die beiden miteinander verbindet, ist keine reine, sondern eine vergiftete Liebe. Für dieses Zusammensein zahlt Muna einen hohen Preis. Wie viel Kälte kann ein Mensch ertragen, ohne zu zerbrechen, ohne sich ganz und gar zu verlieren? Terezia Mora schenkt uns mit Muna eine eigensinnige, mutige Protagonistin, die sich trotz ihrer Stärke in eine toxische Beziehung stürzt. Es geht um Verführung, Missbrauch, seelische Gewalt und Selbstermächtigung. Moras schnörkellose, lakonische Prosa entfaltet vom ersten Satz an einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. „Muna oder die Hälfte des Lebens“ ist ein Roman, der nachhallt.
Der junge Arda liegt mit Organversagen im Krankenhaus und schreibt zum Abschied einen Brief an den abwesenden Vater, den er nie kennengelernt hat. Darin lässt er sein bisheriges LebenvRevue passieren: Konflikte mit der alkoholkranken Mutter, eine Schwester, die von zuhause abhaut, endlose Stunden auf dem Ausländeramt, aber auch die erste Liebe und die gemeinsame Zeit mit den Freunden Savaş, Bojan und Danny. Mit „Vatermal“ fängt Necati Öziri den Sound der Straße ein: wütend, schlagfertig, witzig und zart. Seine jugendlichen Helden suchen Orientierung in einer Gesellschaft, in der sie nie wirklich ankommen. Öziri
öffnet uns für diese deutsche Realität die Augen.
Anne Rabe beschreibt eine Kindheit an der ostdeutschen Peripherie, ein Aufwachsen im Chaos der Wende- und Nachwendezeit, die Eskalation der Gewalt der 1990er Jahre. Die Elterngeneration verzweifelt am Ankommen in der neuen Realität. Durch aufwendige Archivarbeit belegt Anne Rabe, wie stark das kulturelle Klima der DDR beeinflusst war von unaufgearbeiteten Kriegserfahrungen. Durch diese scharfe Analyse und eine hochemotional erzählte Familiengeschichte gelingt ihr damit ein aufrüttelnder Beitrag zu aktuellen Debatten über die Ursprünge von Gewalt und Menschenfeindlichkeit.
Tonio Schachingers „Echtzeitalter“ gelingt das Kunststück, als Coming-of-Age-Roman ebenso einfühlsam wie dezent zu sein. Stilistisch brillant, aber nie aufdringlich wird die Geschichte des Wiener Gymnasiasten Till erzählt: Zerfall der Familie, Freundschaften, erste Liebe, der diabolische Klassenlehrer Dolinar und seine despotischen, aber auch prägenden Lektionen über Literatur und Sprache. Eine Analyse österreichischer Gesellschaft, die an Klarheit und Schärfe Thomas Bernhard in nichts nachsteht und doch im Ton eher leise und sanft bleibt. Nicht zuletzt: eine literarische Reflexion der Welt von Computer-Echtzeitgames, die
in ihrer Feinheit, Luzidität und Klischeefreiheit ihresgleichen sucht.
Sylvie Schenk begibt sich mit ihrem neuen Buch auf eine Spurensuche, die zur Lebensgeschichte ihrer Mutter, ihrer Familie und damit zu ihren eigenen Wurzeln, ihrem eigenen Wesen führt. Kunstvoll verwebt sie dabei Fakten und Fiktionen und verdichtet sie zu einer literarischen Biografie, die der Sprachlosigkeit der Mutter eine Erzählung entgegensetzt, in der auch Armut, Scham, Trauma und Zweifel ihren Ausdruck finden. So entsteht ein stiller Text voller Wucht, der ohne Sentimentalität, aber mit großem Einfühlungsvermögen und historischer Neugier das zu erkunden versucht, was wir Herkunft nennen.
„Drifter“ von Ulrike Sterblich ist ein einziger furioser Ritt. Eine bitterböse Satire auf den Literaturbetrieb, die PR-Branche, Kunst, Social Media, Aktienmanager und Heldenverehrung. Gleichzeitig erzählt das Buch von der tiefen Freundschaft zwischen den Protagonisten Wenzel und Killer – einer Männerfreundschaft, wie man sie selten gelesen hat. Einzigartig ist die mephistophelische Figur der Vica: Unvergesslich, enigmatisch und verführerisch. Falsche Fährten legend führt Sterblich uns vergnüglich an der Nase herum. Eine meisterhafte Geschichte über das große Nichts.
Bis zum 16. Oktober bleibt es offen, welcher Autor, welche Autorin mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wird. Am Montag der Buchmessewoche wird die Auszeichnung im Frankfurter Römer vergeben. Zuletzt wurden Anne Weber für »Annette, ein Heldinnenepos « (2021) und Kim de l’Horizon für »Blutbuch« (2022) ausgezeichnet.
Das ist die Jury, die sich mit den 196 eingereichten Titeln befasst hat:
In der Börsenblatt-Abstimmung zur Longlist haben die 466 Teilnehmer:innen Gespür bewiesen: Die Bücher von Terézia Mora, Necati Öziri, Anne Rabe und Ulrike Sterblich hätten auch die Börsenblatt-Leser:innen auf die Shortlist gesetzt.
Mit dem Deutschen Buchpreis 2023 zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels den deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Der oder die Preisträger*in erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalist*innen erhalten jeweils 2.500 Euro. Die Preisverleihung findet am 16. Oktober 2023 um 18 Uhr zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt und wird live übertragen.
Liveübertragung
Interessierte können die Preisverleihung unter www.deutscher-buchpreis.de verfolgen. Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur übertragen die Veranstaltung live über den Sonderkanal „Dokumente und Debatten“ im Digitalradio und als Livestream auf Dokumente und Debatten | deutschlandradio.de.
Hauptförderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.
Ab 4. Oktober 2023 werden Auszüge aus den Shortlist-Titeln in englischer Übersetzung und ein englischsprachiges Dossier zur Shortlist auf dem Internetportal www.new-books-in-german.com präsentiert.
Der Hashtag zum Deutschen Buchpreis lautet: #dbp23