Für gute Beobachter kommt die Entwicklung rund um Open Access nicht überraschend. Sander Dekker, Staatssekretär im Kultusministerium der Niederlande, die gerade die Ratspräsidentschaft der EU innehaben, verwandelte sein Land in der Vergangenheit in ein Zukunftslabor wissenschaftlichen Publizierens. Die ersten landesweiten Abschlüsse, realisiert mit SpringerNature, Elsevier und, wie vor ein paar Tagen bekannt gemacht, auch mit dem Schweizer Verlag Karger, wurden hier realisiert. Und Barend Mons, Wissenschaftler in Leiden und Vorsitzender der High Level Group zur European Science Cloud der EU-Kommission, ließ bereits im Januar dieses Jahres bei der Konferenz Academic Publishing in Europe in Berlin wenig Zweifel daran, dass sich bis zur Jahresmitte noch viel tun könne in der Europäischen Wissenschaftspolitik.
Und auf der anderen Seite? Leser des Börsenblatts erinnern sich vermutlich an den Sturm im Wasserglas, der Matthias Ulmer im November 2013 als Verlegerausschuss-Vorsitzenden fast aus dem Amt geputscht hätte. Versteckt hinter kleinen Verbandsformalien polemisierten einige gegen Open Access und den Versuch, für den Börsenverein eine konstruktivere Einschätzung und Haltung zum offenen Publizieren zu finden. Zwar ist es um die Positionen der Blockierer ruhig geworden und praktisch alle Verlage haben mittlerweile entsprechende Modelle – entweder im eigenen Angebot oder, etwas verschämter, auf Repositorien von befreundeten Institutionen. Doch es ist offensichtlich: Politischer Wille und wirtschaftliche Erwägungen drängen Verlage in Richtung Open Access. Rezeptionstheoretische Bedenken sind ins Feuilleton gewandert und haben sich längst vom Kern der Frage »Was kann Open Access – und was nicht?« gelöst. Denn nicht erst seit Sci Hub ist klar: Wissenschaftler stehen in Mehrheit auf Seiten derer, die Open Access fordern – schon deshalb, weil es ihr Leben einfacher macht und eben keine schlechtere Qualität liefert als die Publikation wissenschaftlicher Inhalte im Bezahlmodell. Selten also hat das Kundenverständnis vieler Verleger so versagt wie im Fall von Open Access.
Was Verlage jetzt tun können
Nach dem VG Wort-Schock gilt es, ein robustes Mandat anzunehmen für Open Access. Nicht allein in einem kleinen Land, das man »vernachlässigen« kann, sondern in einem Forschungsraum, der 2013 nach UNESCO-Daten 19% der weltweiten Finanzierungsleistung auf sich vereinigt hat, immerhin ca. 280 Mrd. Euro. Es sind keine leichten Zeiten für Verlage, der Innovationsdruck steigt. Und wieder einmal sind es die ideologiefreien, großen wie kleinen Verlage, die die Zeichen der Zeit erkannt und gehandelt haben. Von SpringerNature über Thieme bis zu transcript – das Verständnis für das Bedürfnis von Wissenschaftlern und auch der pragmatische Blick auf die eigene wirtschaftliche Situation haben diesen und zahlreichen anderen Akteuren einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
Die gute Nachricht für alle anderen: Es gibt keinen Grund zur Verzweiflung. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, etablierte Modelle zu prüfen und neue für das eigene Programm zu entwickeln und rasch einzuführen. Denn: Nach Daten des Marktforschers Outsell sind bereits heute 47% des Open Access-Marktes weltweit in den Händen der drei größten Verlagsgruppen.
Des Pudels Kern: (Fehlende) Offenheit für Veränderung
Verlage und der ihre Interessen vertretende Verband haben in zwei Fällen kurz nach einander schmerzhaft erfahren müssen, dass ihr Selbstbild und die Sicht der anderen auf sie nicht übereinstimmen – vom Bundesgerichtshof bis zur EU-Kommission. Und während in vielen Häusern täglich hart daran gearbeitet wird, die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern, ist die öffentliche Wahrnehmung noch immer die von einer Traditionsbranche – und das Risiko ist nicht gering, dass diese vom Mantel der Geschichte verhüllt wird.
Die Europäische Kommission hat für ihre Verhältnisse ungewöhnlich klar und einmütig den freien Zugang zu den Ergebnissen wissenschaftlicher Arbeit für alle Nutzer gefordert, und sie tut dies nicht ohne übergeordneten Grund. Natürlich geht es den Mitgliedstaaten hierbei nicht nur um die hehre Wissenschaft, sondern darum, den Anschluss im Wettbewerb mit den USA und den asiatischen Staaten zu halten.
Hier nun eröffnet es Wissenschaftsverlagen Möglichkeiten für wirtschaftliches Wachstum, wenn sie bei aller Orientierung an Inhalten verstehen lernen, dass Services zu diesen Inhalten dramatisch an Bedeutung gewinnen. Vorbilder sind die Angebote amerikanischer Bildungsverlage, die immer stärker auf lernbegleitende Erfolgskontrolle für Schüler und Lehrer setzen, um die Ergebnisse schulischer Ausbildung zu verbessern. Oder das Freemium-Modell des Verlags der OECD, in dem man Inhalt kostenlos nutzen kann, weitergehende Analysen von Statistikdaten jedoch kostenpflichtig sind.