Google-Suche gegen Terrorismus

Aber diesmal trifft es die Bösen …

21. September 2016
von Börsenblatt
Das hat uns schon immer gestört: Google schaut uns in die Köpfe. Doch jetzt tut Google dies für einen guten Zweck, nämlich um Terroristenkarrieren zu stoppen.

Wer Google nutzt, um aktuelle Propaganda-Videos vom IS anzusehen und gleich anschließend im Netz Reisetipps nach Syrien googelt, der lernt vermutlich ungefragt Googles neuen Web-Service kennen. Ein paar typische Suchphrasen und ein passendes Profil sorgen neuerdings dafür, dass die Google-Ergebnisseite in der Anzeigenleiste Videos, Interviews und Artikel auflistet, die Möchtegern-Islamisten von ihrer geplanten Karriere abhalten sollen. Diese Strategie, entwickelt von der Google-Tochter Jigsaw (ehemals Goolge Ideas), ist offenbar deutlich effektiver als die Abschreckungsversuche durch Horrorbilder auf Zigarettenpackungen.
Redirect Method heißt diese Strategie, also umleiten statt verpetzen. Das Material sind Youtube-Videos, auf denen Aussteiger aus dem IS ihre Erfahrungen beschreiben. Verantwortlich für dieses neue Programm ist unter anderem Yasmin Green, die aus dem Iran in die USA ausgewandert ist. Im Sommer 2011 half sie beim Launch der Plattform Against Violent Extremism (AVE), die Aussagen von ausgestiegenen Terroristen, IS-Mitgliedern und Überlebenden als Videos und Audio-Dateien sammelt. Diese von Google finanzierte Initiative wurde anschließend an ein Londoner NGO übergeben. Jetzt steht Yasmin Green der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Jigsaw vor. Sie kennt Web-Zensur und Zugriffsverbote aus ihrer Heimat: »Wir stellen Produkte her um Leuten zu helfen, die digital angegriffen werden« steht auf der Homepage von Jigsaw.

Wirkungsvolle Gegen-Propaganda

Hinter dem neuen Google-Programm steht die Erkenntnis, dass die westliche Welt dem mächtigen und aggressiven Narrativ der IS-Propaganda bislang nichts wirkungsvolles entgegenzustellen hat. Während die Terroristen mit dem Versprechen auf ein Abenteuer à la Game of Thrones wirbt, kann der Westen bislang nur auf die abschreckenden Bilder setzen, die der IS selbst als Propagandamaterial ins Web setzt. Eine größere Wirkung haben allerdings die Erzählungen der Aussteiger und Videos mit heimlich aufgenommenen Verhandlungen, Sitzungen und Szenen aus dem Alltagsleben der IS-Kämpfer vor Ort.

Umleiten funktioniert

Das Pilotprojekt startete Anfang des Jahres und war überraschend erfolgreich! Innerhalb von nur zwei Monaten wurden laut Yasmin Green 320.000 Sympathisanten in den Anti-IS-Kanal gesaugt, von denen die Hälfte durch die IS-Propaganda positiv angesprochen waren. Die click through-Rate lag im Schnitt um 70 Prozent über der normalen Klickrate für Anzeigen. Die Jigsaw-Anzeigen wurden drei bis vier Mal häufiger angeklickt als übliche Werbe-Anzeigen. Wer klickte, verbrachte fast doppelt so viel Zeit mit den Anti-IS-Videos wie der durchschnittliche Nutzer eines YouTube-Videos.
Dieser Erfolg ermutigt. Was bei IS-Kandidaten funktioniert, könnte auch bei anderen helfen, die dem Staat das Gewaltmonopol streitig machen wollen. Daher plant Jigsaw gemeinsam mit dem britischen Startup Moonshot Countering Violent Extremism und der amerikanischen Gen Next-Stiftung eine Neuauflage des Programms, das sich an nordamerikanische Extremisten richten soll, an IS-Sympathisanten wie auch an gewaltbereite weiße rechte Organisationen (White Supremacists).
Außerdem könnte neben den bislang veröffentlichten dokumentarischen Stoffen der Gegenpropaganda möglicherweise bald auch fiktionales Material eingesetzt werden. Tatsächlich sieht es so aus, als hätten sich führende Mitglieder der Obama-Regierung mit Hollywood-Produzenten und Firmen wie Snapchat und Facebook getroffen, um über inhaltliche Gegenangriffe zu diskutieren.
Für Europäer und vor allem für uns Deutsche hat dieses Projekt verstörende Aspekte: Google setzt seine Daten und Algorithmen genau so ein, wie wir schon lange befürchten. Sie filtern Personen mit definiertem politischen Profil heraus. Aber diesmal trifft es die Bösen …