Bildungsmedien in Holland (Teil 1/2)

Bildung in Holland - Deutschland wird abgehängt

7. April 2015
von Börsenblatt
Wer bei Holland nur an Käse, Tulpen und Holzschuhe denkt, liegt verkehrt: Im Bereich der digitalen Medien und der Lehrmethoden ist uns das niederländische Bildungssystem weit voraus. Das liegt vor allem an einem echten Wettbewerb der Lehrmethoden, die von den Bildungsverlagen entwickelt werden.

Wer bei Holland nur an Frau Antje, Käse, Tulpen und Holzschuhe denkt, verkennt, dass dieses Land nur aufgrund fortschrittlichster Entwässerungstechnik existiert und dass wir schon in früheren Jahrhunderten moderne Technologien von Holländern übernommen haben – die Holländermühle zum Beispiel, die in der Form heutiger Windräder weiterlebt. Wir sollten jetzt wieder etwas übernehmen – uns nun aber am holländischen Bildungssystem orientieren:

Das holländische Schulsystem ist dem klassisch gegliederten, deutschen System der Grund-, Haupt-, Realschule und der Gymnasien ähnlich. Jedoch gehen rund zwei Drittel der Schüler auf private Schulen. Denn im Prinzip kann in Holland jedermann eine Schule gründen, um religiösen oder pädagogischen Ansichten eine freiheitliche Basis zu bieten. Die Schulträger sind zwar teilweise auch Kommunen wie bei uns, zum weit überwiegenden Teil aber öffentlich-rechtliche und private Stiftungen.

Anders als bei uns gibt die holländische Bildungsbehörde die Lehrinhalte, nicht aber die Lehrmethoden vor. Beispiel für die Vorgabe eines Lehrinhaltes ist: »Am Ende der ersten Klasse sollen Schüler einfache, für sie neue Texte selbständig lesen und erklären können«. Lehrmethoden, um dieses Ziel zur erreichen, wären z.B. die synthetische oder die analytische Methode.

Diskussionen, welche dieser Methoden nun das Ei des Columbus sind, hat es zwar auch in Holland gegeben, und es gibt sie (allerdings auf deutlich höherem Niveau als in Deutschland) auch heute – aber letztlich zählt nicht, was man glaubt, sondern welche Methode sich in der Praxis bewährt. Und das entscheidet keine Schulbehörde, sondern der Wettbewerb um die besten Lernerfolge.

Um den Lernerfolg zu ermitteln und vergleichbar zu machen, organisiert die holländische Schulbehörde daher landesweite, einheitliche Tests (nicht nur als Zentralabitur, sondern regelmäßige Tests über die gesamte Schulzeit hinweg; der wichtigste Test ist die Prüfung am Ende der Grundschulzeit). Diese Tests wurden ursprünglich von einem staatlichen Forschungsinstitut (Cito) im Auftrage der Regierung entwickelt. Das Institut wurde jedoch 1999 privatisiert, um staatliche/ideologische Beeinflussung zu verhindern und um Wettbewerb auch im Bereich der Testentwicklung zu ermöglichen.

Die Lehrmethoden dagegen werden in Holland von den Bildungsverlagen entwickelt. Sie bezahlen Forschung und setzen Forschungsergebnisse in praktische, anwendbare Lehrmethoden um und erstellen dafür die Lehrmittel (früher Lehrbücher, heute Lehr-Apps). Für eine Lehrmethode gibt es also – klassisch gesprochen – ein Lehrbuch für die 1. Klasse, 2. Klasse, 3. Klasse usw. und dazu die entsprechenden Übungshefte, Lösungshefte und Lehrer-Handbücher. Diese alte Welt wird jetzt durch digitale Medien ersetzt – und das heißt: durch Lernsoftware.

Die Schulen wählen die Methoden aus, die sie anwenden wollen, und stehen untereinander im Wettbewerb um die besten Lernerfolge, die über die staatlichen Prüfungen gemessen werden. Dadurch besteht ein erheblicher Wettbewerbsdruck, pädagogisch und didaktisch ausgereifte Lehrmethoden zu entwickeln und erfolgreich anzuwenden. Ganz anders als in Deutschland, wo die Lehrmethoden (noch) nach ideologisch-politischen Gesichtspunkten entwickelt und verordnet werden.

Interessant ist auch die Finanzierung des Schulwesens: Unabhängig von der Art der Schulträger erhalten alle Schulen einen staatlichen Zuschuss, der sich u.a. nach der Zahl der Schüler und der Lernerfolge richtet (z.B. Reduzierung der Schulabbrecher-Rate). Tatsächlich werden auch private Schulen zu mehr als 50% von der öffentlichen Hand finanziert.

Im Ergebnis verkaufen die Bildungsverlage Methoden an die Schulen und haben dann bei der Vermarktung dieser Methoden mit den diversen Entscheidungsgremien in den Stiftungen oder Kommunen zu tun.

Eine weitere Besonderheit des holländischen Marktes ist eine Entwicklung, die bei uns in Deutschland gerade erst beginnt: Da die Schülerzahlen in den Grundschulen zurückgehen und weil die Lehrer keine unkündbaren Beamten sind, haben sich viele Schulen zusammengeschlossen. So sind die Lehrer nicht mehr an einer bestimmten Schule, sondern bei der übergeordneten Institution (meist: Stiftung) angestellt und lehren an mehreren dieser Schulen. Sie müssen dafür während der Woche und teilweise auch während des Schultages hin- und herfahren. Aus Schleswig-Holstein weiß ich, dass sich die Lehrer in Deutschland gegen solche Veränderungen wehren – es ist aber die sinnvolle ökonomische Reaktion auf sinkende Schülerzahlen und volkswirtschaftlich besser, als die vielen kleinen Schulen auf dem Land zu schließen (wie wir das tun), was die Infrastruktur für Paare mit Kinderwunsch nur weiter verschlechtert.

Für die Bildungsverlage bedeutet dies allerdings, dass sie wissen müssen, an welchen Schulen welcher Lehrer welche Fächer unterrichtet und wie dort die Entscheidungsprozesse ablaufen – wer also alles an der Auswahlentscheidung beteiligt ist. Da die meisten CRM-Systeme nicht vorsehen, dass ein Lehrer (ein Arbeitnehmer) in verschiedenen Schulen (Unternehmen) tätig sein kann, stellt dies die Hersteller von Verlagssoftware und CRM-Systemen vor besondere Herausforderungen.

(Der zweite Teil dieses Artikels erscheint in Kürze. Lesen Sie darin, wie es um die Ausstattung holländischer Schulen mit digitaler Bildungstechnik bestellt ist und wie sich die oben dargestellten Strukturunterschiede für die Bildungsverlage auswirken – und über die frappierenden Resulate im Hinblick auf den den Bildungserfolg, z.B. auf die Pisa-Ergebnisse).