Zurück zum gedruckten Buch

Die Renaissance des Bücherregals

30. August 2015
Redaktion Börsenblatt
Das Bücherregal, gefüllt mit repräsentativen Werken, kehrt zurück. Es ist ein Zeichen der Unabhängigkeit, etwa von den obligatorischen Bildschirmen – meint Michael Schikowski.

Klaus Wagenbach erzählte einmal, wie er 1954 als Hersteller von Fritz Hirschmann bei S. Fischer damit beauftragt wurde, für Thomas Mann zehn »einwandfreie« Autorenexemplare auszusuchen. »Mit gedehnter und strenger Betonung auf ›einwandfrei‹, also kein schief eingehängtes, ungleich geprägtes oder gar bogenvertauschtes Exemplar, dessen Beschnitt schartig oder dessen Kapitalband verrutscht war.« Thomas Mann, dem Repräsentanten des Bürgertums, pingelig, heikel und schnell eingeschnappt, sollten nur repräsentative der entsprechend teuren Ausgaben seines Hochstaplerromans »Felix Krull« unterkommen.

Qualität rechtfertigt den Preis, zuweilen aber rechtfertigt der Preis auch die Qualität, vor allem dann, wenn andere Kriterien zur Bewertung fehlen. Man spricht hier auch vom Veblen-Effekt, benannt nach dem Soziologen Thorstein Veblen. Danach steigern Bücher, von denen man kaum mehr weiß, als dass sie teuer aussehen, das Sozialprestige ihres Besitzers.

Dann liegt also auch immer der Verdacht nahe, dass das Repräsentative das Repräsentierte, die ausgestellten Bücher also das Lesen ersetzen. Hohe Bücherstapel für kulturelle Hochstapelei. Wie neuerdings auch Karten für Literaturveranstaltungen namhafter Autoren gekauft werden, statt deren Bücher zu lesen.

Eine Sparkasse versandte unlängst an junge Menschen Werbebriefe zum Geburtstag. Auf dem Umschlag steht: »Werfen Sie mal einen Blick in die eigenen vier Wände!« Wenn man den Umschlag öffnet, erhält man Einblick in ein Wohnzimmer mit Couch, Blümchen, Fenster usw., und neben der Couch steht ein großes Bücherregal. Ein Bücherregal? Ja, genau, ein Bücherregal, und zwar mit Büchern bestückt – ganz so, wie wir es aus den 1950er Jahren kennen, vermutlich mit einer Thomas-Mann-Gesamtausgabe.

Ich habe zu diesem Werbebrief unzählige Deutungen gehört. Einige hielten das Ganze für ein Versehen oder die Sparkassenleute für Witzbolde. Die meisten von uns sind noch mit der Einstellung aufgewachsen, dass man den Gebrauch des Buches diesem unbedingt ansehen musste. Als ausgestellter Besitz waren uns Bücher immer auch ein wenig peinlich. Bücher mussten anständig zerlesen sein. Und nun feiert Omas Bücherregal fröhliche Wiederkehr?

Gelegentlich spricht man bei der nachwachsenden Generation – das mag ein Indiz sein – vom neuen Biedermeier, schließlich wirft man dort auch wieder Brautstrauß und Bachelorhut. Es liegt also nahe, auch dem Bücherregal, gefüllt mit repräsentativen Büchern, eine Konjunktur vorauszusagen. In einigen Buchhandlungen wird schon gezeigt, wie das mit »einwandfreien« Büchern aussehen kann. Buchhandlungen als Showroom fürs heimische Wohnzimmer. 

In der Sparkassenwerbung mit Bücherregal aber bloß ein Retro-Phänomen zu sehen ist gewiss unzureichend. In den 1950er Jahren war das Bücherregal ein Anschlussmedium an die bürgerliche Hochkultur. Man muss es heute als Medium der Unabhängigkeit und Freiheit erkennen. Das Bücherregal zeigt Unabhängigkeit von den obligatorischen Bildschirmen moderner Arbeitsplätze, Freiheit von den Kicks knalliger Kurznachrichten und von extrem ausgeweiteter Überwachung. Und, na klar, es ist auch – im Unterschied zum Verschwinden der Dinge ins Digitale – sichtbar, greifbar und repräsentativ. 

Über Michael Schikowski
Michael Schikowski schreibt den Blog immerschoensachlich.de. Gerade erschien von ihm "Glanz und Melancholie. Anmerkungen zur Buchgestalt".