Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz

Das müssen Verlage jetzt wissen - ein Leitfaden des Börsenvereins

30. Juni 2017
von Börsenblatt
Der Deutsche Bundestag hat heute eine Änderung des Urheberrechts in Bildung und Wissenschaft beschlossen. Was die neuen Regelungen umfassen und worauf sich Verlage einstellen müssen - das hat der Börsenverein in der folgenden Übersicht zusammengetragen. Er will alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen, gegen das Gesetz vorzugehen.

Das Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz ist mit den Stimmen der Regierungskoalition angenommen worden - gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung der Grünen (Auszüge aus der Debatte lesen Sie hier). SPD und Unionsfraktionen hatten sich im Vorfeld auf den Kompromiss geeinigt, die neuen Regelungen zunächst bis 2023 zu befristen (mehr dazu in der Pressemitteilung hier und auf boersenblatt.net hier.) 

Was besagt das neue Gesetz?

  • Bis zu 15 Prozent eines Buches dürfen zur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an Bildungseinrichtungen ohne Rücksprache mit Verlag oder Autor digitalisiert, heruntergeladen und ausgedruckt werden. Für die eigene Forschung dürfen sogar bis zu 75 Prozent eines Buches auf diese Weise genutzt werden.
  • Angemessene Lizenzangebote von Verlagen für die digitale Nutzung von Büchern müssen für die oben dargestellte Umfänge von den Hochschulen nicht mehr berücksichtigt werden. Im Gegenteil: Die gesetzliche Erlaubnis gehe jeglicher Lizenzvereinbarung vor, so der Börsenverein.
  • Hochschulen müssen künftig keine Angaben mehr dazu machen, welches Werk wie häufig und von wie vielen Menschen (Dozenten, Studierenden) genutzt wird. Es erfolgt eine Pauschalvergütung über die Verwertungsgesellschaften.
  • Bibliotheken genügt es künftig, jedes Buch nur je einmal zu kaufen, um es ihren Nutzern beliebig oft und gleichzeitig elektronisch zugänglich machen zu können. Pro Sitzung dürfen die Bibliotheksnutzer bis zu zehn Prozent des Buches herunterladen. Eine Begrenzung der Sitzungen ist nicht vorgesehen.

Ab wann gelten die neuen Regelungen?

Das Gesetz wird am 1. März 2018 in Kraft treten.

Zentrale Vorschriften des Gesetzes sind auf fünf Jahre, das heißt bis Ende Februar 2023 befristet. Nach vier Jahren soll eine Evaluation der Auswirkungen des Gesetzes stattfinden.

Wie bewertet der Börsenverein das Ergebnis?

Der Börsenverein wertet die Entscheidung für das Gesetz als "großen Fehler mit erheblichen Konsequenzen für Bildung und Wissenschaft in Deutschland". Ein Gesetz ohne wesentliche Änderungen durchzuwinken, das offensichtlich verfassungswidrig sei und weltweit vorbildliche Publikationsstrukturen, die Garant für Qualität und Vielfalt seien, massiv bedrohe, sei "höchst fahrlässig" und unverantwortlich. "Dieser kurzsichtige Schritt ist ein schwerer Rückschlag für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland", so der Verband.

Ein zentraler Kritikpunkt: Der Teil-Enteignung der Verlage durch das Gesetz stehe momentan kein finanzieller Ausgleich gegenüber. Das Gesetz sieht eine Vergütung über Verwertungsgesellschaften vor. Dafür fehlt nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshof zur Verlegerbeteiligung aber momentan die Rechtsgrundlage. Diese muss auf EU-Ebene geschaffen werden und dann in nationales Recht umgesetzt werden, was frühestens im nächsten, eher im übernächsten Jahr der Fall sein werde - "vorausgesetzt der politische Wille ist da", betont der Börsenverein

Die beschlossene Befristung der zentralen Vorschriften des Gesetzes auf fünf Jahre ist aus Börsenvereinssicht kein geeigneter Interessensausgleich. Da das Gesetz am 1. März 2018 in Kraft treten soll, endet die Frist erst im Jahr 2023. "Die Regierungskoalition verschiebt die Verantwortung damit in die übernächste Legislaturperiode", macht der Verband deutlich. "Dabei zeigt bereits die Befristung als solche, dass der Gesetzgeber selbst erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorschriften hat. Im Jahr 2023 kann die wissenschaftliche Publikationslandschaft bereits irreversibel beschädigt sein." Mit seiner verabschiede sich der Gesetzgebers von einem erfolgreichen marktwirtschaftlichen Publikationssystem mit rund 600 meist kleinen und mittelgroßen Verlagen, sodass am Ende der Staat die Veröffentlichung wissenschaftlicher Werke organisieren und mit Steuergeld bezahlen müsse.

Der Börsenverein will alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen, gegen das Gesetz vorzugehen. Zudem will der Verband die laufenden Arbeiten an einem leistungsfähigen Online-Lizenzierungsportal vorantreiben, über das Bibliotheken und Bildungseinrichtungen Lehrbücher und andere Lehrmedien der Verlage lizenzieren können.

Weitere Informationen zum Gesetz und den möglichen Folgen enthält das Themen-Dossier des Börsenvereins. Weitere Artikel zum Thema auf boersenblatt.net: