Umfrage unter Lektoren (3)

Der erste Satz

12. Juni 2017
von Börsenblatt
Ein Versprechen, verführerisch, wie ein Enterhaken: Wie muss der erste Satz eines Romans sein? Wir haben bei Lektoren nachgefragt - und präsentieren Ihnen bis zum Erscheinen des Börsenblatt Spezials Belletristik am 14. Juni jeden Tag drei Antworten. Heute: Patricia Reimann, Hanna Mittelstädt und Markus Naegele.

Patricia Reimann, Programmleiterin Literatur bei dtv:

Jeder wunderbare erste Satz ist wunderbar, weil es Leser gibt, die ihn so empfinden. Weil er etwas anrührt, aufschließt, verspricht. Und nicht jeder dieser Sätze muss in die Literaturgeschichte eingehen. So wie dieser: 'Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.' Ein solcher erster Satz (Franz Kafka, Der Prozess), und der Leser ist gefangen. Das einzige, was er weiß: das ist Literatur. Und all das andere, wer der Mann ist und warum ihn jemand verleumdet, er schließlich verhaftet wird – all das wird im Augenblick des Lesens zur drängenden Frage und stößt den Lesenden auf den Kern seiner eigenen Existenz. Ein solcher erster Satz ist ein Wunder.

Hanna Mittelstädt, Mitgründerin der Edition Nautilus:

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Markus Naegele, Verlagsleiter Heyne Core:

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Das 114 Seiten starke Spezial Belletristik erscheint am 14. Juni mit einem Porträt des Diogenes-Verlegers Philipp Keel, einem Überblick über neue Gegenwartsliteratur aus der Schweiz, den neuesten Trends in der Covergestaltung und vielen anderen Themen.