Seoul International Book Fair 2016

"Die Vegetarierin" vitalisiert den koreanischen Buchmarkt

21. Juni 2016
von Börsenblatt
Seit die südkoreanische Autorin Han Kang im Mai für "The Vegetarian" den Man Booker International Prize verliehen bekam, ist sie wohl – mit der koreanischen wie der englischen Ausgabe ihres Buches – die am meisten besprochene und plakatierte Schriftstellerin in Seoul zurzeit. Ein Besuch auf der Internationalen Buchmesse in Seoul (15.−19. Juni), inklusive Überblick über den koreanischen Buchmarkt.

Insbesondere die Übersetzung von "The Vegetarian" ins Englische durch Deborah Smith hat viel Anerkennung bekommen –  und der koreanischen Literatur eine neue Tür in die Welt geöffnet.

Buchmarkt gehört zu den Top 10 weltweit

Seit Südkorea im Oktober 2005 seinen Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse hatte, hat sich viel getan. Der koreanische Buchmarkt gehört zu den zehn größten der Welt mit einer Titelproduktion um die 45.000 und einem Umsatz von über sechs Milliarden Euro. Nominell gibt es über 42.000 Verlage, von denen allerdings nur 3.600 wirklich aktiv sind. Die Anzahl der stationären Buchhandlungen in diesem Land mit 51 Millionen Einwohnern wird mit über 1.750 angegeben.

Keine Umsatzsteuer für Printbücher und E-Books

Die Buchpreisbindung – damals für zwei Jahre auf Probe eingeführt – hat in Korea eine wechselvolle Geschichte erlebt – nach gnadenlosen Rabattschlachten, die die Buchbranche fast zum Erliegen brachten, wurde sie im Jahr 2013 endgültig wieder eingeführt und nach langen Diskussionen letztlich die Rabattierung auf 10 Prozent beschränkt. Außerdem hat die Regierung sowohl gedruckte Bücher als auch E-Books von der Umsatzsteuer befreit.

Buchmesse in Seoul: 29 deutsche Aussteller

Die Internationale Buchmesse in Seoul, die jedes Jahr im Sommer stattfindet, ist in erster Linie eine Verkaufsmesse – insofern hat die Beschränkung der Rabattierung für koreanische Titel durchaus Auswirkungen auf die Besucherzahlen, die früher mit um die 130.000 angegeben wurden und nun deutlich niedriger, in diesem Jahr bei 100.000 Besuchern, liegen. Für die internationalen Verleger dürfte dies allerdings positive Auswirkungen haben. 20 Länder und 378 Aussteller, davon 29 deutsche, waren in diesem Jahr vertreten. Die Verlage präsentierten insbesondere Kinderbücher und Cartoons, aber auch Design- und Architekturtitel.

Auch die Frankfurter Buchmesse war mit einem Gemeinschaftsstand vertreten, der zur Förderung des kulturellen Austauschs vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Mit Sean Moon, der 2005 die Organisation des Gastlandauftritts in Frankfurt leitete, hat die Frankfurter Buchmesse einen kompetenten Berater an der Hand, der auch die deutsche Verlagslandschaft sehr gut kennt.

Sylvia Schuster (Carlsen) und Sarah Bo-Mi Reinbacher (Piper) berichteten unisono, dass es sehr hilfreich sei, in Seoul tatsächlich auch einmal selbst mit den Verlegern zu sprechen und konkrete Bücher vorstellen und zeigen zu können. Alle arbeiten sehr erfolgreich mit Agenturen – aber nach Frankfurt kommen im Allgemeinen eben nicht die Verleger selbst. Sylvia Schuster konnte in den ersten drei Tagen allein 30 Neukontakte verzeichnen, neben den bereits bestehenden. Und Reinbacher berichtet, dass Piper jährlich fünf bis zehn Titel an koreanische Verlage vergebe, vorwiegend im Bereich Sachbuch. Insofern sei Korea neben China der wichtigste Markt in Asien für sie.

Positive Bilanz des Lizenzgeschäfts

Im Lizenzgeschäft mit Büchern – höre ich von Sylvia Schuster – sind Serientitel erstaunlicherweise nicht gefragt, ganz im Gegensatz zum Nachbarland China, wo Reihen Einzeltiteln regelmäßig vorgezogen werden. In der Statistik rückt Korea auf Platz 7 der Abnehmer deutscher Lizenzen vor, wie Katharina Wallat  berichtet. Insofern konnte sie für die Frankfurter Buchmesse eine überaus positive Bilanz ziehen.

Staatliche Förderung des Buchmarkts

Von koreanischer Seite bemühen sich mehrere staatliche oder staatlich geförderte Organisationen ebenfalls, den Buchmarkt zu stützen – so die KPIPA (Publication Industry Promotion Agency of Korea), das LTI Korea (Literature Translation Institute of Korea) und die KPA (Korean Publishers Association). Auf Einladung der Korea Book Trade Promotion (KBTP) fand eine Konferenz unter dem Thema "How to remake book business models?" für koreanische Verleger und Dienstleister statt, zu der ich im Rahmen einer internationalen Delegation neben Kollegen aus den USA, Frankreich und Dänemark als Sprecherin geladen war. Die KBTP ist eine Non-profit-Organisation, Mitglied bei EDItEUR und das bibliografische Zentrum Koreas mit mehr als einer Million gespeicherter Buchdaten im ONIX-System. Und das Interesse an Best-Practice-Beispielen aus anderen Ländern ist überaus groß.

Eine Buchstadt mit Bergblick

Auch wenn sich die koreanische Buchbranche langsam aus der Krise der letzten Jahre erholt, in der etwa 25 Prozent der Buchhandlungen schlossen, befürchtet Kim ChongSu, Chairman der KBTP,  dass im nächsten Jahr die Existenz einiger Verlage gefährdet sein könnte. Insofern werden umso mehr Anstrengungen unternommen, dem entgegenzuwirken. Sein Verlag, HanulMPlus Inc., der vor allem im Bereich Humanities und Social Sciences aktiv ist, ist vor fünf Jahren von Seoul nach Paju Bookcity nördlich der Hauptstadt gezogen. Er zählt 35 Mitarbeiter, von denen 20 Lektorinnen sind.

Paju Bookcity war zunächst ein Wunschtraum eines einzelnen Verlegers, der alle Stadien der Buchproduktion in einem Komplex zusammenbringen und urbanem Design eine Chance geben wollte. Zahlreiche Architekten konnten sich hier verwirklichen, und da die Höhe der Gebäude auf vier Etagen beschränkt ist – der Blick von den umliegenden Bergen auf Nordkorea sollte frei bleiben –, bietet sich ein völlig anderes Lebensgefühl als in der Hauptstadt mit ihren endlosen Wolkenkratzern. Im "Forest of Wisdom", gleichzeitig große Bibliothek, Kulturzentrum und Café, haben zahlreiche Honoratioren ihre Buchsammlungen hinterlassen.

Von den ersten Treffen 1989 bis heute wurde letztlich dann jedoch nicht alles so groß realisiert wie geplant. Insbesondere die Anbindung durch die U-Bahn wurde bisher nicht realisiert – so ist das tägliche Hin und Her für die dort Beschäftigten etwas aufwendig. Etwa 200 Verlage haben sich hier angesiedelt, die in Seoul über keine eigenen Gebäude verfügten, und der am schnellsten wachsende Bereich der Trade Books. Weiterhin zwanzig Betriebe, die im Bereich Printing & Binding agieren, sowie mehrere Distributeure. Auch das Warenlager und die Distribution für die Online-Bestellungen von Kyobo finden sich hier. Diese machen 40 Prozent der Bestellungen aus, Tendenz steigend. Das heißt, 60 Prozent der Bücher werden immer noch in den großen Buchläden selbst geordert. Bestellungen bis 11 Uhr können in den großen Städten übrigens bis 16 Uhr geliefert werden.

Das Kyobo Book Center, gegründet 1981, befindet sich im Zentrum der Stadt, ganz in der Nähe des Finanzzentrums – mit direktem Zugang zur U-Bahn. Ein zentral aufgestellter riesiger Tisch aus neuseeländischem Kauri-Holz soll Wärme und Wohnlichkeit ausstrahlen – 100 Besucher finden hieran Platz und können sich der Lektüre widmen. Han Kangs "Vegetarian", "the hottest book in Korea now", wie uns erzählt wird, ziehe viele Käufer (und Leser) in die Buchhandlung. "This book is vitalizing the publication market."

Statt Amazon teilen sich vier große Onlinebuchhändler den Markt – Yes24, Interpark, Aladin und YoungPoong.

Webserien sind en vogue

Schönheit ist ein wichtiges Thema im Leben der koreanischen Frauen und Männer (!) – die eine oder andere Chinesin schaut begehrlich auf die operierten Nasen mancher Koreanerinnen – und so finden seit Jahren die koreanischen TV-Serien großen Anklang im Nachbarland. In den Webdramen, die verstärkt Furore machen und von den großen Internetfirmen des Landes produziert werden wie Daumkakao, werden berühmte Sänger und Sängerinnen der koreanischen Boys‘ und Girls‘ Bands als Schauspieler eingesetzt – und garantieren auch damit deren Erfolg. Die erste im Januar 2014 von Suchmaschinen-Betreiber Naver ausgestrahlte Webserie "Aftermath" verzeichnete in den ersten vier Wochen bereits mehr als 3,5 Millionen Webaufrufe! Und auch Samsung folgt diesem Erfolgsrezept mit "The Best Future". Sicher hilfreich: Südkorea hat die größte Durchdringung an Smartphones und Tablets.

Die speziell für Smartphones entwickelten Cartoons – Webtoons – finden ebenfalls großen Anklang. Mit etwa 20 Minuten Laufzeit sind sie bestens geeignet für die Wege zur Schule oder zur Arbeit. Naver konnte durch deren Entwicklung seinen Marktanteil auf dem Mobile-Markt beträchtlich erhöhen. Südkorea ist ein Land, in dem Google nicht gebraucht wird – es gibt ja Naver Search, Koreas größte selbstentwickelte Suchmaschine. Kommunikation läuft über KAKAOTalk und Apple-Produkte sind kaum verbreitet.

Veronika Licher ist Diplom-Informatikerin und studierte in Peking Chinesisch für den Außenhandel. Nach mehreren Jahren in Projekten zur maschinellen Sprachübersetzung sowie neun Jahren beim Bibliographischen Institut ist sie seit 15 Jahren unter anderem als Coach und Verlagsberaterin insbesondere auf den chinesischen Buchmarkt spezialisiert.