Die Wagenbach-Geschäftsführerin Susanne Schüssler schreibt darin:
"Obwohl die Mehrheit der Autoren und Übersetzer, aber auch die Bundesregierung überzeugt sind, dass die Verlage sehr wohl Leistungen erbringen, die in diesem Zusammenhang vergütet werden müssen, hat der BGH entschieden, dass nach derzeitiger Rechtslage die Verwertungsgesellschaft Wort die Verleger nicht an den Ausschüttungen beteiligen darf. Dies gilt für die Zukunft, aber auch rückwirkend. So ist die VG Wort gezwungen, die Verlagsanteile der Jahre 2012 bis 2015 wieder zurückzufordern.
Diese Entscheidung ist katastrophal. Sie ist nicht nur vollkommen blind für die Arbeit der Verlage, sie schwächt das Urheberrecht insgesamt und hat ökonomisch weitreichende Folgen.
Einerseits bedeutet sie einen Sieg für die Geräteindustrie, der nun die Begründung frei Haus geliefert wurde, nur noch den Autorenanteil an die Verwertungsgesellschaft zu bezahlen. Zum anderen wird sie vielen Verlagen große Schwierigkeiten bringen: Sie werden noch weniger ungewöhnliche, aufwendige und kostenträchtige Projekte wagen und finanzieren können.
Als Mitglied des Verwaltungsrats der VG Wort habe ich zusammen mit anderen Verlegern und mit Autoren – trotz mancher Auseinandersetzung – viele Jahre für die gemeinsame Rechteverwertung gekämpft. Umso mehr trifft mich diese Entscheidung.
Für unseren Verlag, der nicht gewinnorientiert arbeitet, heißt es, in allen Bereichen deutlich einzusparen. Am sichtbarsten wird dies bei der Leserinformation: Zum ersten Mal seit Gründung des Verlags 1964 werden wir keine 'Zwiebel' mit den jährlichen Neuerscheinungen und dem Gesamtverzeichnis produzieren und an die Buchhandlungen und Leser verschicken."
Diese notwendige Maßnahme treffe den Verlag und seine Autoren gleichermaßen, so Schüssler, die sich von den politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel schnell eine Lösung für die Zukunft erhofft.
Ich kann es kaum glauben, dass sich die Geschäftsführerin eines der ehrenwertesten Verlage dieses Landes wünscht, die Gerichte sollten sich von Überzeugungen, Interessengruppen, Meinungen oder Mehrheiten, wie sie sagt, leiten lassen anstatt von Gesetzen. Und sich das auch noch öffentlich zu sagen traut.
Im übrigen gilt: Wenn die Rechtslage dem gesellschaftlichen Konsens hinterherhinkt, ist der Gesetzgeber gefragt. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist, dass bis 1958 Frauen nicht ohne Zustimmung des Ehemannes einen Arbeitsvertrag unterschreiben durften.
Was die Verfassungsklage angeht, würde ich mir nicht allzu viele Hoffnungen machen, solange es um den Begriff "Urheber" geht. Da ich unter anderem als Lektor für einen Verlag arbeite, der seine Aufgabe sehr ernst nimmt, weiß ich, wie viel Herzblut seitens des Verlags in Büchern stecken kann, auch von der gestalterischen und herstellerischen Seite, und dass die Grenzen zur Urheberschaft manchmal verschwimmen. Aber wir werden dafür bezahlt und der Verlag lässt sich die produzierten Bücher bezahlen.
Als Laie könnte ich spekulativ vermuten, dass das Ergebnis der Verfassungsklage der Hinweis auf den Unterschied zwischen Urheberrecht und Leistungsschutzrecht samt Verweis auf die Musikindustrie sein könnte. Nachkarten trägt zwar nichts zur künftigen Lösung bei, aber ich verstehe wirklich nicht, weshalb der Gesetzgeber und die VG Wort, denen dieser Unterschied "schon immer" bekannt sein dürfte, nicht spätestens nach dem ersten Gerichtsurteil nach rechtssicheren Lösungen gesucht und stattdessen gewissermaßen jahrelang gebetet haben, der Kelch möge an ihnen vorübergehen und alles beim Alten bleiben.