Read!Berlin brachte 40 Autoren auf die Bühne

Ein Literaturfestival abseits des Mainstreams

21. Dezember 2015
von Börsenblatt
Mit dem neuen Festival Read!Berlin initiiert Jörg Braunsdorf Debatten über seine Lieblingstadt – an ungewöhnlichen Orten.

Read!Berlin begann als Gedankenexperiment. Schon bei der Eröffnung seiner Buchhandlung Tucholsky vor fünf Jahren überlegte Jörg Braunsdorf, ein neues Festival auf die Beine zu stellen, drehte die Idee hin und her – bis er, aufgrund von (zufälligen) Gesprächen, endlich Mitarbeiter dafür gewann. Das war im Sommer 2014.

Ad hoc setzten sie sich zusammen, legten die Eckpunkte fest, sammelten Programmideen und schrieben einen Businessplan (Braunsdorf: »Das ist notwendig, wenn man öffentliche Gelder beantragen möchte.«). Rund acht Monate später, Ende April 2015, feierten sie dann Premiere: Ihre Festivalwoche in Berlin-Mitte brachte 40 Autoren auf die Bühne – in der Buchhandlung Tucholsky, aber auch anderswo im Kiez, etwa in der Kalkscheune, der Neuen Odessa Bar und der Hörsaalruine der Charité im Medizinhistorischen Museum (siehe Foto auf den beiden vorherigen Seiten).  Zusätzlich organisierte das Team um Jörg Braunsdorf einen digitalen Salon auf der Festivalwebsite (www.read-berlin.de), in dem unter anderen die Bloggerin Linda Rachel täglich mit einem Lese-Video zu Gast war. Ihr Thema: die sieben Todsüden.

Im Unterschied zu anderen Literaturfestivals, die es in der Metropole bereits gibt, konzentrierte sich das Read!Berlin-Team ausschließlich auf Themen aus der Hauptstadt. Es ging um Berlin als Ort der Widersprüche und Sehnsüchte, der wechselvollen Vergangenheiten, der Flüchtlingsgeschichten, der Start-ups. »Wir präsentierten Berlin als Schmelztiegel und Spannungsfeld«, sagt Braunsdorf – und ist sich sicher, damit genau den richtigen Nerv getroffen zu haben.

Das Festival wurde von den Machern jenseits des Mainstreams verortet, kommt ohne internationale Stars aus und wurde so angelegt, dass es als eine Art literarischer Stolperstein fungieren konnte: Jede der 30 Live-Veranstaltungen sollte einen Beitrag leisten, um Berlin aus neuen Perspektiven zu erkennen. Einige Beispiele aus dem Programm:

  • In Anlehnung an Brechts Flüchtlingsgespräche erzählten die in den Libanon und nach Deutschland geflohenen Autoren Dima Wannous (»Dunkle Wolken über Damaskus«, Edition Nautilus) und Aboud Saeed (»Der klügste Mensch im Facebook«, Mikrotext) von ihren Eindrücken aus der Zeit vor und während des aktuellen Syrienkriegs.
  • Bei den »Vergessenen Premieren« ging es um vom Naziregime verbannte Autoren, an die sich heute kaum noch jemand erinnert. Im Mittelpunkt stand die in Wien geborene jüdische Autorin Lili Grün mit ihren Berichten aus den wilden Zwanzigern in Berlin.  
  • Charité-Professor Ingo Fietze sprach über sein Buch »Über guten und schlechten Schlaf« (Kein & Aber) und das Leben im rastlosen Berlin.

Aufwand und Kosten: Das Kernteam bestand aus fünf Personen; außer Jörg Braunsdorf gehörten dazu Anna Mandalka, Jörg Engelbrecht, Bobby Rafiq und -Christian Stahl. Sie brauchten Monate, um alles zu organisieren, Verlage und Autoren anzusprechen, das Programm zusammenzustellen, Räume zu buchen, Sponsoren zu motivieren und Werbung für das neue Literaturfestival zu machen. Ihr Wegweiser dabei: der zu Beginn der Planungen aufgestellte Businessplan. Unterm Strich wurden bei den Veranstaltungen (24. - 30. April 2015) rund 2.000 Gäste begrüßt; der Preis bewegte sich zwischen drei und elf Euro, einige Veranstaltungen waren für Besucher kostenlos. Braunsdorf und seine Mitstreiter sehen die Premiere als Erfolg, wollen im kommenden Jahr weitermachen. »Es lief wirklich gut«, sagt er. »Wir sind zufrieden, hatten eine tolle Resonanz in den Medien. Ich denke nicht, dass wir drauflegen.« Detailliert Bilanz ziehen will das Read!Berlin-Team noch im Juni. Was Braunsdorf schon sagen kann: Die Büchertische leerten sich mal mehr mal weniger – »insgesamt betrachtet, haben wir jedoch klasse verkauft«.

Kontakt zum Ideengeber:

Buchhandlung Tucholsky

JörgBraunsdorf

030/27577669

kurt@buchhandlung-tucholsky.de