Presseschau

Klaus Wagenbach über die RAF, Booker Prize an Anne Enright

18. Oktober 2007
von Börsenblatt
Der Verleger Klaus Wagenbach hat mit dem Tagesspiegel über seine Erfahrungen mit der RAF gesprochen. Ebenfalls Thema: die Verleihung des Booker Prize an die irische Schriftstellerin Anne Enright.
„Wir wollten das Geschnauze nicht“ - der Tagesspiegel im Gespräch mit Klaus Wagenbach: Herr Wagenbach, in der Ideologie der RAF finden sich Leitmotive der heutigen Islamisten: Antikapitalismus, Antizionismus, Anti-Amerikanismus. Ist der Terror des Dschihad mit dem der RAF verwandt? Das halte ich für Unfug. Die damalige Wut bei den jungen Leuten auf Amerika speiste sich aus anderen Quellen. Als Jugendlicher war ich in einer Reeducation-Schulung der Amerikaner, wo uns ein Colonel aus Wisconsin beibrachte, was Demokratie ist, zum Beispiel sollten wir statt „ich meine“ sagen „es ist so oder so“. Als 1945 die Amerikaner kamen, war meine antifaschistische Familie glücklich, und ich als 15-Jähriger war begeistert, als ich aus dem Radio eines Panzers Glenn Miller hörte. Nein, die Ursache unserer großen Enttäuschung über Amerika war ganz klar der Vietnamkrieg, das hatte nichts mit Antisemitismus zu tun. Zahlreiche RAF-Mitglieder ließen sich in palästinensischen und arabischen Militärlagern an der Waffe ausbilden. Davon habe ich damals wenig mitbekommen, insgesamt mögen es vielleicht vierzig Leute gewesen sein. Die RAF wollte mit alten Nazis wie Hanns-Martin Schleyer abrechnen und machte gemeinsame Sache mit den Feinden Israels – wie passt das zusammen? Doch, das war denkbar, dass Sympathien für Palästinenser bei Leuten entstanden, die so empört waren über das an den Palästinensern begangene Unrecht, dass sie beim Attentat auf die israelischen Sportler bei der Olympiade in München Beifall klatschten. Sie kannten die Grenze nicht mehr. Dass die jungen Leute auf die Seite der Palästinenser getrieben wurden, lag nicht zuletzt auch an großen selbsternannten Philosemiten wie Axel Springer, zugleich der Verleger der selbsternannten Blödzeitung, die an einem Tag Elogen auf Israel druckte, am anderen Tag die protestierende Jugend als Ungeziefer oder Desperados bezeichnete. Es war eine Zeit voller Ressentiments, in der ich die Leute auf der Straße sagen hörte, man sollte die Demonstranten besser vergasen. Ich erinnere mich, wie ich einmal darauf antwortete: Ach nein, nicht vergasen, durch den Fleischwolf drehen und Hackfleisch draus machen. Erst als ich derart übertrieb, wurden sie stutzig. Also entstand die RAF als ein Gesamtprodukt der Stimmung im Land? Es herrschte ein Lynchklima gegenüber den Jüngeren mit ihren unbequemen Fragen und ihrem Wunsch nach einem weniger vorgeschriebenen Leben. Das begann schon vor 1968, denken Sie an das Verbot, Kondome offen zu verkaufen, an den Kuppelei- und den Homosexuellenparagrafen. Schon während der Schwabinger Krawalle im Juni 1962 wurden Jugendliche, die nichts weiter taten, als auf den Straßen zu musizieren, dafür malträtiert. Dagegen ist die Polizei massiv eingeschritten, es kam zu den ersten Straßenschlachten am Ende der Ära Adenauer. Warum diese Stimmung später eskalierte, zeigt das Beispiel Helmut Schmidt. Neulich wurde mir das wieder klar, als ich das Gespräch mit ihm in der „Zeit“ las. Giovanni di Lorenzo sagte zu Schmidt, der Rechtsstaat sei mit der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg in Frage gestellt worden. Schmidt erklärte darauf, der Rechtsstaat werde nicht dadurch gefährdet, dass ein durchgedrehter Polizist jemanden erschießt. Er hat nichts verstanden – ganz Berlin war damals durchgeknallt. Die Westberliner Polizei sah tatenlos zu, als sogenannte Jubelperser vom iranischen Geheimdienst beim Schahbesuch im Juni 1962 auf Demonstranten einprügelten. Der Polizeipräsident hatte die „Leberwurst-Taktik“ entwickelt: In die Mitte hineinstechen, damit der Zug der Demonstranten auseinander bricht. Das war damals die Rhetorik der Älteren gegenüber den Jüngeren. "Die Überraschungssiegerin" - die "taz" schreibt über die neue Booker-Prize-Trägerin: Sie war die große Außenseiterin. Bei den Buchmachern lagen Ian McEwans "On Chesil Beach" und Lloyd Jones "Mister Pip" deutlich vorne. Die Entscheidung sei sehr knapp gewesen, sagte Howard Davies, der Vorsitzende der Jury. Er beschrieb ihr Buch als "unnachgiebigen Blick auf eine trauernde Familie in harter und eindrucksvoller Sprache". Der Observer bezeichnete "The Gathering" als "Geschichte einer funktionsgestörten Familie, die durch die anregende Trostlosigkeit des Tons herausragend ist". "Der literarische Roman im Abseits?" - ebenfalls zur Booker-Prize-Trägerin heißt es in der "NZZ": Dieses Jahr waren der Booker-Jury 110 Romane vorgelegt worden. Bereits als die 13 Titel umfassende «Longlist» veröffentlicht wurde, waren Schwergewichte wie J. M. Coetzee, Thomas Keneally, Doris Lessing, Michael Ondaatje und Graham Swift auf der Strecke geblieben. Und ausgeschieden wurden darauf auch 4 Erstlingsromane, die es immerhin auf die «Longlist» geschafft hatten. Der Prominenteste im Sextett, aus dem die Jury schliesslich den Gewinner zu ermitteln hatte, war Ian McEwan mit seinem neuen Roman «On Chesil Beach», der noch vor der Zeit der sexuellen Revolution spielenden Geschichte eines neuvermählten Paares. Ihm leisteten Nicola Barker mit «Darkmans», laut der Jury «eine Art moderne Gespenstergeschichte», die schliessliche Gewinnerin Anne Enright mit «The Gathering» – der Titel ist auf ein in Dublin stattfindendes Begräbnis gemünzt – sowie Indra Shina Gesellschaft; der Letztere mit «Animal's People», einem Roman, dem die Giftgaskatastrophe von Bhopal im Jahr 1984 zugrunde liegt. Einen Blick weit über die britischen Grenzen hinaus gewährten weiter noch der in Pakistan geborene Mohsin Hamid sowie der Neuseeländer Lloyd Jones, die ebenfalls in die Shortlist aufgenommen wurden; der Erstere lag mit «The Reluctant Fundamentalist» im Rennen, der Geschichte eines in den USA ausgebildeten und mit den Terroranschlägen von 2001 konfrontierten Muslims, und der Letztere mit dem 1991 auf der vom Krieg zerrissenen Insel Bougainville angesiedelten Roman «Mister Pip».