Podiumsdiskussion "Kritische Stimmen aus der Türkei"

"Wir haben uns nicht dem Regime ergeben, wir kämpfen weiter"

16. Oktober 2017
von Börsenblatt
In einen kritischen Dialog über die Verfolgung von Journalisten und Schriftstellern in der Türkei traten am Sonntag auf der Frankfurter Buchmesse türkische Aktivisten und Autoren − bei der Podiumsdiskussion "Kritische Stimmen aus der Türkei".

Auf dem Podium debattierten am Nachmittag Irfan Aktan (Schriftsteller), Yonca Şık (Projektkoordinatorin Heinrich-Böll-Stiftung Istanbul), Can Atalay (Anwalt) und Aslı Erdoğan (Schriftstellerin). Die Moderation übernahmen die Journalistin Doris Akrap und der Autor Imran Ayata.

Es war ein unerwartet optimistisches Bild, das die vier Diskutanten am Sonntag von ihrem Heimatland zeichneten. Während der vom Freundeskreis "Free Deniz" organisierten Debatte mit dem Titel "Kritische Stimmen aus der Türkei" sprachen die türkischen Gäste auf der Weltempfang-Bühne in Halle 3.1 über Verfolgung, Presse- und Meinungsfreiheit. Trotz der ernsten und ernstzunehmenden Thematik waren es vier mutige und hoffnungsvolle Stimmen, die auf der Frankfurter Buchmesse zum Publikum sprachen.

Autorin Aslı Erdoğan ("Die Stadt mit der roten Pelerine") war 132 Tage wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda in Haft. "Nun, da ich wieder frei bin und aus der Türkei ausreisen durfte, fühle ich mich schuldig und einmal mehr gefangen, da viele meiner Kollegen und Freunde nach wie vor in Gefängnissen sitzen", erklärte sie im Gespräch mit Moderatorin Doris Akrap. Ihr Fall sei nur ein Beispiel für die Einschränkung der Meinungsfreiheit unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Dennoch sieht sie ihre Zeit in Haft als wichtige Erfahrung an, die sie in Kunst übertragen möchte. "Ich will eine Haltung beziehen und die politischen Verhältnisse in der Türkei über meine Texte zugänglich machen", so die Autorin.

Journalisten riskieren viel

Autor Irfan Aktan machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass derlei friedliche, rein sprachliche Auseinandersetzungen mit der gegenwärtigen Situation in der Türkei nicht selten seien. "Es gibt viele Türken, die sich in Friedensbewegungen zusammenschließen und Journalisten, die für sie als Sprachrohr fungieren", betonte er. Natürlich gebe es auf der anderen Seite auch Gewaltproteste, die oftmals aus Angst resultierten.

Jene Journalisten, die sich mit dem Wort gegen das Regime wenden, riskieren viel. Yonca Şıks Ehemann etwa, der Journalist Ahmet Şık, ist seit 2015 inhaftiert. 2011 war er schon einmal zu einer Gefängsnisstrafe verurteilt worden. Er hatte sich aktiv für die Pressefreiheit und gegen Folter eingesetzt. "Das hört die Regierung nicht gerne", sagte die Ehefrau. Autorin Erdoğan weiß von Journalisten zu berichten, die über 100 Mal gegen jede Rechtsstaatlichkeit angeklagt wurden. "Da wir in der Türkei keine Todesstrafe haben, versucht das Regime uns mundtot zu machen, indem es uns eine lebenslange Haftstrafe anhängt", erklärte sie.

Selbstzensur zum Selbstschutz

"Wie wirkt sich dies auf Ihr Schreiben aus?", fragte Moderator Imran Ayata in die Runde. Aktan erklärte, dass er seine Texte zunächst einem Anwalt vorlege, bevor er sie veröffentliche. "Wir passen jede Formulierung so an, dass man mir nichts vorwerfen kann", so der Autor und Kolumnist. Da ein Drittel der türkischen Journalisten außer Landes und ein weiteres Drittel im Gefängnis sei, müsse sich das verbliebene Drittel aktiver Journalisten im Land vorsehen.

"Das ist Selbstzensur – und genau das ist Ziel der Regierung", warf Rechtsanwalt Can Atalay ein, der unter anderem den inhaftierten Journlisten Ahmet Şık vertritt. Aktan fügte hinzu, dass er durchaus seine Meinung publiziere, seine Worte bloß sorgfältig wähle. "Wir haben uns nicht dem Regime ergeben, wir kämpfen weiter", machte er deutlich. Auch Atalay konnte von Gegenbewegungen berichten. Etwa 51 Prozent der Türken sage der eigenen Regierung ab. Die AKP habe beim Verfassungsreferendum im April alle Großstädte verloren. "Die Türkei ist gespalten, aber sie ist kein Trümmerfeld. Es gibt einen demokratischen Widerstand. Darauf sollten wir uns konzentrieren", schloss der Anwalt.