Neu im Regal - Lesetipp der Woche

Dominante Cousine und verborgene Schätze

27. April 2016
von Nicola Bardola
Erzählen kann er, der Ex-Verleger Hermann Schulz: Im Abenteuerroman "Lady Happy und der Zauberer von Ukerewe" für Kinder verbindet er die stimmungsvoll gezeichnete Gegenwart auf der größten Binneninsel Afrikas mit ihrer reichen Geschichte.

"Eine Geschichte, die die Leute lesen wollen, die sie vom Hocker haut, ihnen Gänsehaut macht oder zum Weinen bringt. Und zugleich lehrreich ist, etwas von Afrika erzählt, das interessant ist und wichtig": Diese Beschreibung könnte für Hermann Schulz Roman „Lady Happy“ stehen. Es sind jedoch die Worte von Papis, dem Sohn eines ranghohen Polizisten, der vom Senegal auf die Insel Ukerewe im Victoriasee versetzt wird. Dort findet der langhaarige Papis, der an Krücken geht, gerne gute Bücher liest und selbst Gedichte schreibt, rasch neue Freunde. Papis ermuntert sie, das von ihnen ersehnte Geld mit dem Schreiben guter Geschichten zu verdienen, um dann nach Sansibar zu Konzertveranstaltungen zu fahren. Darüber macht sich Sam, der 13-jährige Ich-Erzähler dieses Romans, dem alle Welt immerzu auf den Hinterkopf tätschelt und der selbst gerne amerikanische Krimis liest, vielerlei Gedanken. Mit seinem Plauderton wickelt Sam die Leser rasch um den Finger: Er wirkt sympathisch, weil er aufrichtig von den Menschen und Ereignissen erzählt und dabei immer bereit zur Selbstkritik ist.

Immer wieder schildert Sam, wie aktiv und dominant seine Cousine, die kesse Lady Happy ist. Andererseits wird deutlich, dass das stürmische Mädchen den etwas bedächtigen Gegenpart Sam im Team gut gebrauchen kann. Als Happy ihm vorwirft, er sei ein Angsthase, ärgert das Sam sehr - erst später gibt er zu, tatsächlich gerne eher der vorsichtige Typ zu sein. Trotzdem lässt er sich immer wieder von Happy zu riskanten Unternehmungen verleiten. Und davon gibt es zahlreiche in diesem Roman. Happy, Sam und Papis wollen herausfinden, aus welchen Gründen Papis Vater wirklich auf der Insel ist. Bei ihren Recherchen stoßen sie auf Geld, viel altes Geld. Auf manchen Münzen ist zu lesen „DOA 1916“ und auf der Rückseite „20 Heller“. Damit ist die Verbindung zu Deutschland hergestellt: DOA steht für Deutsch-Ostafrika. Schätze liegen auf der Insel verborgen, die es zu entdecken gilt. Dabei bleibt der Roman nahe an den historischen Fakten, reflektiert die Kolonialzeit aus Sicht der Betroffenen und zeigt die Spuren, die von Belgiern, Briten und Deutschen hinterlassen wurden. Die Nachforschungen des Trios führen zum Kloster Segerema und zum rührenden Schicksal einer Königstochter.

Königstrommeln und drei Dutzend Autos

Als Hermann Schulz auf Einladung des Goetheinstituts 2014 Tansania besuchte, war der Besuch der Insel Ukerewe für ihn ein Höhepunkt. Schulz erinnert sich: „Ich hatte den Wunsch, fünf historische Orte zu sehen: Hamuyebe (Neuwied), die beiden Königsorte Bukindo Nkokoro und Bukindo, Bulamba und Kagunguli. Die Besuche der genannten Orte brauchte ich für das Buch, an dem ich gerade schreibe. Es wird ein Kinderroman. Man weiß ja nie genau, was man eigentlich sucht. Man findet in Afrika aber immer Überraschungen, an die man kaum gedacht hat. In Kagunguli gingen wir zum Grab von Aniceti Kitereza. Es ist inzwischen ziemlich verkommen. Ich verabredete mit Pater Alex, das Grab neu zu gestalten. Er wird danach eine Plakette anbringen: „Von seinen deutschen Freunden“. Der Besuch beim Schloss Bukindo war eine Überraschung: Das Gebäude wurde instand gesetzt, die großen Königstrommeln stehen in einem Raum, der für Besucher offen ist. Der jetzige König (Mama Sambona lebt leider nicht mehr) lebt als Diplomat in Wien und hat leider nicht vor, aus dem Schloss ein Museum zu machen.“ 

Aber jetzt hat Hermann Schulz diesen Roman geschrieben und vielleicht fördert das den Tourismus und die Museumsprojekte. Was Hermann Schulz mit diesem Afrika-Roman einmal mehr sehr gut gelingt, ist die spannende und stimmungsvolle Schilderung des Alltags. Auf der Insel fahren drei Dutzend Autos, davon die Hälfte Taxen, es gibt kaum geteerte Straßen, keine Ampeln und kein einziges Verkehrsschild. Stromausfälle bestimmen den Alltag, aber viele Haushalte besitzen einen Internetanschluss. Der Wunsch nach mehr Wohlstand ist allgegenwärtig: „Eine harte Kindheit ist, wenn du mal groß bist, was Wunderbares!“, sagt Sams Mutter mit bösem Humor.

Barbara Yelin hat den Roman mit vielen schwarzweißen Zeichnungen – von Vignetten bis hin zu Doppelseiten - bebildert, die die Stimmung gut verstärken. Eine Übersichtskarte zu Südostafrika wäre für uns „Albinos“ – so nennt Sam die Weißen – hilfreich gewesen: So wären bei der Herstellung des Buches vielleicht die verwirrenden Bezeichnungen Tanganjikasee (auf dem Buchumschlag) und Victoriasee (im Roman) aufgefallen, der zweitgrößte Süßwassersee der Welt. In ihm befindet sich der Schauplatz dieses Romans, die Insel Ukerewe, die größte Binneninsel Afrikas. Nach der Lektüre dieses Romans möchte man eiegtnlich rasch losfahren, um die Schauplätze vor Ort selbst zu sehen.

Hermann Schulz: Lady Happy und der Zauberer von Ukerewe. Mit Bildern von Barbara Yelin. Aladin,  208 S., 12,95 Euro