Michael Schikowski über den Vertreterbesuch

"Wir reden darüber. Und das dauert."

2. Mai 2017
Redaktion Börsenblatt
Versteht man Bücher, versteht man auch den Vertreterbesuch. Denn Bücher verstehen sich nicht von selbst, weder durch Vorschauen noch durch Leseproben oder Videos – meint Michael Schikowski.

Wie überall, muss man sich auch im Buchhandel mal von der einen oder anderen lieb gewordenen Tradition verabschieden. Außerdem hat das den Vorteil, dass man modern wirkt. Gelegentlich führt das allerdings dazu, dass eine Abschaffung nur um des rein äußerlichen Effekts der Wirkung willen durchgeführt wird. Es lohnt sich also immer, zu überprüfen, ob eine Modernisierung nicht eigentlich nur auf verkürztes Denken zurückgeht. Die Abschaffung des Vertreter­besuchs, die sich in der Branche alle zehn Jahre ereignet, ist dafür ein Beispiel.

Vorausgesetzt, der Vertreterbesuch diene dazu, Zahlen in eine Liste einzutragen und Bücher durch Nennung von Autor und Titel vorzustellen, dann ist mit elektronischen Systemen und guten Vorschauen der Vertreterbesuch eigentlich obsolet. Wer so denkt, behauptet zugleich, dass Buchhändler nicht in der Lage gewesen wären, Zahlen aufzuschreiben und eine Vorschau zu lesen.

Versteht man aber Bücher, versteht man auch den Vertreterbesuch. Denn was sind Bücher anderes als Kommunikationsmedien? Bücher verstehen sich eben nicht von selbst – auch nicht durch eine ausführliche Vorschau, nicht durch Filme, Lese­proben und Bilder. Bücher, darin liegt ihr Wesen, sind ­immer auch Anlass zur Kommunikation. Das heißt: Wir reden drüber. Und das dauert.

Weil das so ist, wird in Buchhandlungen fast so viel geredet wie beim Friseur. Das ist aber bloß der Mittelteil der Buchkommunikation. Das Buch wird gekauft, verschenkt oder selbst gelesen, und dabei wird nicht geschwiegen, sondern weiter über das Buch gesprochen, bei der Begründung der Ausgabe, der Überreichung des Geschenks oder am eigenen Bücherregal.

Und alldem geht das Reden über noch nicht fertiggestellte Bücher voraus, im Lektorat, auf Konferenzen und schließlich beim Vertreterbesuch. Bücher sind Anstiftung zur Kommunikation. Sie sind, was sie auslösen: Gespräch, Austausch und Besinnung.

Wer redet, ist nicht nur nicht tot (Gottfried Benn), sondern hat sich schon eingelassen. Gewiss, Bücher sind kompliziert, sie fügen sich nicht der üblichen Einfachheit, der bloßen Gegenständlichkeit als Flachware. Das Gespräch erhöht ihre Prozesskosten zwar, ist aber zugleich wesentlicher Teil der Bücher und daher unverzichtbarer Teil der Wertschöpfung.

Wenn aber dem Kauf das Gespräch vorausgeht, kann man aus der Sicht der Prozesskostenrechnung, deren Sinn geradezu ist, den Kommunikationszusammenhang zu übersehen und Prozesse zu isolieren, folgern, dass das Gespräch dem Kauf im Wege ist. Wer redet, ist zwar nicht tot, kauft aber auch nichts – jedenfalls nicht sofort. Also sieht der Berater es so: Lasst das Gequatsche sein und kauft.
Den in der fragwürdigen Umgangskultur der übrigen Wirtschaftswelt sozialisierten Beratern und Quereinsteigern der Branche erscheinen die kooperativen Umgangsformen der Branche außerdem rätselhaft. In der Buchbranche werden aber keine Autos verkauft, deren kommunikative Leistung sich auf Ausstattungsdetails, lärmendes Röhren und Richtungsanzeige durch Blinker beschränkt. Noch mal Benn: »Kommt, öffnet doch die Lippen, wer redet, ist nicht tot.«