Der "Perlentaucher" zählte 2001 noch 6. 680 Buchkritiken, 2014 waren es nur noch 3 .372 (2015 allerdings wieder einige mehr). Beim "Perlentaucher" beginnt Kritik bei 60 Zeitungszeilen, zählt man kürzere Texte mit, fällt das Ergebnis weit weniger dramatisch aus. Wobei sich die Literaturkritik mit Literaturtipps aber ja nicht retten kann. Es geht um professionelle Literaturkritik, die braucht Raum. "Ich gebe keine Buchtipps", sagt Sigrid Löffler ausgerechnet im Interview mit der Literaturbloggerin Mara Giese (Buzzaldrins Bücher). Sie, Sigrid Löffler, sei – im Gegensatz zu, zum Beispiel, nebenberuflich bloggenden Frauen (wie Mara Giese) – Kritikerin, keine Warenausruferin.
Verkehrte Welt. Gibt es doch diverse Profis, die auch Literaturtipps geben, Blogs, die ausführliche und differenzierte Kritiken veröffenlichen und ein "Literarisches Quartett", das sich manchmal anhört, wie sich manche Literaturblogs lesen. Professionelle Literaturkritik versus Hobbyrezensent? Das ist zu kurz gesprungen. Eher noch könnte sich ein Generationenkonflikt auftun. Wer traut wem auf welcher Basis?
Für die, die sich einem Blog anvertrauen wollen, ist die Auswahl jedenfalls groß, zumindest, wenn sie sich für Fantasy und Liebesromane interessieren. Etwa 200 Literaturblogs sind (mehr oder weniger) aktiv. Klar, oft werden da nur Girlanden um Klappentexte gerankt. "Toll", "großartig", "hat mich berührt" – die Urteile fallen eindeutig und positiv aus. Sieh, wer schreibt. Alles Vertrauenssache. Und: Auch professionelle Literaturkritiker gehen mittlerweile unter die Blogger. Sieht aus, als wäre der Untergang der Literaturkritik mal wieder abgesagt. Weniger im gedruckten Feuilleton wird durch viel, viel mehr in Literaturblogs kompensiert. Schön bunt ist das.
Viele der beruflichen Kritiker besprechen schließlich auch nicht (oder nur mit einer gewissen Überheblichkeit) bestimmte populäre Genres, so dass mancher Leser sich mit ihren Besprechungen gar nicht befassen will, weil ihn schlicht diese tatsächlich oder vorgeblich anspruchsvollen Romane nicht reizen. Oder zumindest nicht ausschließlich.
Liebe Profi-Kritiker, sehen Sie die Blogger doch also nicht als Konkurrenz und ein Symptom des Verfalls der Literaturkritik, vor allem nicht kollektiv. Lassen Sie doch den Büchern, die Sie sowieso nicht beachten, eine Chance, wenigstens im Internet von begeisterten Amateuren rezipiert zu werden.
Was ist frisch an weiteren "macht mich an" statements? Was weiterer Info-Müll?
Allerdings ist die professionelle Literaturkritik in den letzten Jahren fast sang- und klanglos untergegangen und wurde ersetzt durch laienhafte Besprechungen, egal ob in Zeitungen, Zeitschriften oder im Internet (wobei die Reichweite von Blogs grundsätzlich weit überschätzt wird).
Niemand würde ernsthaft den Wert seines Hauses oder Autos von Laien schätzen lassen. Warum sollte das ausgerechnet bei Büchern anders sein?
Dieser Vergleich hinkt bereits wegen der völlig unterschiedlichen Tragweite der finanziellen Entscheidung. Als Leser lasse ich mich im Gegenteil viel eher von der Laienmeinung leiten. Es ist wie beim Wein: Schwere Kost, sei sie künstlerisch noch so wertvoll, bekommt mir am Abend nicht.
Eine Bewertung durch Fachleute hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit Kompetenz. Von Inkompetenten erhält man nur inkompentenes Geschreibsel. Heute, wo in den Verlagen immer weniger Lektoren und immer mehr Verkäufer angestellt sind, ist eine qualitativ hochwertige Bewertung des Verlagsaustoßes um so wichtiger. Ich finde auch die 30 Euro für ein gebundenes Buch ordentlich Geld.
Ob ein Buch schwere oder leichte Kost ist, darf grundsätzlich keinen Einfluß auf die Kriterien der Bewertung haben. Es gibt miserable schwere Literatur und hervorragende leichte Liebesromane. Es ist die Aufgabe des Kritikers, das Buch hinsichtlich der vom Autor beziehungsweise Verlag gesetzten Ansprüche anhand seines Kriterienkatalogs zu bewerten und das Ergebnis so darzustellen, daß die Leser wissen, auf was sie sich eventuell einlassen. Würde das ordentlich gemacht, hätte keiner der ersten zwanzig Bände der sogenannten xxx-Bestsellerliste jemals seine Käufer finden dürfen.
Gerne dürfen Sie und die Kollegen Berufskritiker aber auf dem hohen Roß der "qualitativ hochwertigen Bewertung" sitzen bleiben und in die Einsamkeit reiten.
Ihre Antwort zeigt, daß die Kritiker ihrer Aufgabe nicht nachkommen. Selbstverständlich läßt sich nicht wissenschaftlich ermitteln, ob Ihnen ein Buch gefällt. Weil "Gefallen" eben ein subjektiver Eindruck ist, müssen die Kritiker das Werk anhand objektiver Kriterien analysieren, die Leser können sich dann selbst ein Urteil darüber bilden, ob ihnen das Buch gefallen könnte.
Kommt der Kritiker zum Beispiel zum Schluß, daß "das Sprachniveau einfach" ist, bedeutet das für literarisch Interessierte, daß man dieses Buch nicht zu lesen braucht, es aber für die Strandlektüre durchaus taugen kann. Oder wenn die Übersetzung sich "nah am amerikanischen Original orientiert", weiß man, daß die Übersetzung mißlungen ist, die Leser, die Denglisch schätzen, werden hingegen die vielen "Jobs" und "Events" "okay" finden.
Die vielen unprofessionellen Kritiken haben der Branche in den letzten Jahren stark geschadet. Viele, die guten Kritiken geglaubt haben, haben Schund gekauft und sind jetzt übervorsichtig geworden.