Lesetipp

Mehr Steroide und Dreck in der Limonade

24. Mai 2016
von Börsenblatt
Der Roman beginnt mit einem Versprechen an die Leser: "Alles wird die Wahrheit sein, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Von mir, oder richtiger: von uns allen." Ein halbes Dutzend 13- und 14-jähriger Schüler berichtet in raschem Stakkato von den turbulenten Ereignissen während ihrer Praktika "draußen in der Arbeitswelt", wo sie herausfinden, dass ein Limonadenhersteller menschenverachtende Experimente an Kindern in Kenia durchführt.

Vicky möchte gerne Enthüllungsjournalistin werden und ist die Protagonistin in "Liquidator". Am Tag der Vergabe der Praktikumsplätze kommt sie zu spät zur Schule und der "schreckliche Kahlkopf Mr Mulligan" hat die Probetage bei der Zeitung vor Ort schon an die Zwillinge Polly und Molly vergeben. Auch die anderen Schüler sehen recht zufrieden aus: Eldon will Tierärztin werden und darf sich als Hundeausführerin probieren, Leela will Chirurgin werden und erlebt den Alltag als Aushilfe in einem Krankenhaus, Ben ist ein Nerd und darf sein Talent bei Computer-Programmieren testen, Spuds ganze Familie arbeitet im Abwassergeschäft und wird in den Job von Kanalreinigern schnuppern, die schöne Katkat schließlich hat ihren Traumjob als Mitarbeiterin des berühmten Rockstars Snowy erhalten, ein Organisator von Festivals gegen Kriege und gegen die Ungerechtigkeit in der Welt. Er wird am letzten der Praktikumstage als Haupt-Act bei der großen Benefizveranstaltung "Africa's Weeping!" auftreten. 

Für Vicky bleibt nur etwas im Catering-Bereich: "Sandwich-Zubereitungsgehilfin" bei Lockson & Lockson. Langweiliger hätte es für die aufgeweckte 13-Jährige nicht kommen können. Aber dann stellt sich heraus, dass es sich bei der Lockson-Stiftung um eine erfolgreiche Anwaltskanzlei handelt. Vicky wird alles tun, um auch als einfache "Sandwich-Fachfrau" etwas vom wirklich wichtigen Business der Juristen mitzubekommen.

Es sind noch weitere Schüler in die Geschichte involviert, und der mehrfach preisgekrönte britische Autor Andy Mulligan bietet witzige Einblicke in die allerersten Praktikumserfahrungen einer Generation, der oft noch Erlebnisse ähnlicher Art bevorstehen. Mulligan baut verschiedene Spannungsbögen und schildert treffend Gefühlsregungen: "Mrs Lockson grinste. Dann schien sie zu würgen, doch ich merkte, sie lachte. Das Lachen breitete sich aus ..." Ein Verdienst kommt auch dem Übersetzer Uwe-Michael Gutzschhahn zu.

Experimente mit Einheimischen

Die zunehmende Verknüpfung aller Arbeitsplätze mit der Haupthandlung treibt die Lektüre voran: Die Lockson-Anwälte vertreten einen mächtigen Getränkekonzern, dessen neue Limonade "Liquidator" sich in vielen Geschmacksrichtungen (Liquidator Kokosnuss, Liquidator Tropical usw.) anschickt, den Markt zu erobern. Liquidator wird Hauptsponsor bei Snowys Benefizkonzert sein. Die Schüler kommen jedoch dem Versuch der Anwälte auf die Schliche, den bevorstehenden Tod Jamies, eines Jungen aus Afrika zu vertuschen: Er gehörte zu einer abgelegenen Gemeinde in Kenia, in der für die Entwicklung des Getränks mit den Einheimischen experimentiert wurde. 

Ben hat die geheimen Dateien der Lockson-Anwälte auf einem Stick gespeichert: "Sie testeten das Getränk. Sie gaben Zucker rein, Koffein - und sogar Nikotin. O ja, sie spielten mit allen möglichen Dingen rum (...) Monatelang wechselten sie die Mischung, änderten den Geschmack (...) Jamie hatte Diabetes. Und sie ließen ihn trinken und trinken, während sie einen Test nach dem anderen durchzogen, weil sie unbedingt rausfinden wollten, wie man den Steroid-Grad erhöht und mehr Dreck reinkriegt. Ich meine, das Zeug steckt voller Geschmacks- und Zusatzstoffe (...) Es macht süchtig. Diese ganzen Zuckerstoffe sind so modifiziert, dass sie sie kleinrechnen können." Ben zeigt seinen Mitschülern, was "fünfhundert Dosen von dem Chemie-Dreck bei einem kleinen Jungen fünftausend Kilometer von hier entfernt angerichtet haben."

Aufdecken eines Skandals

Probanden wie Jamie erkranken an den chemischen Unausgewogenheiten der Getränke: Gewichtsverlust, Bluthochdruck, Nierenversagen bis hin zum Tod sind die Folge. Vicky und ihre Mitschüler setzen in dieser actionreichen Story alles daran, den Skandal aufzudecken, was in einem Showdown auf Snowys Konzert gipfelt: "LIQUIDATOR TÖTET!!", projiziert Ben auf die Leinwand hinter den Musikern. 

Bei der Beschreibung der Möglichkeiten an Praktikumsplätzen lässt Andy Mulligan in diesem lesenswerten Roman allerdings Realitätssinn vermissen; diesbezüglich bewegt sich die Geschichte weit abseits der versprochenen Wahrheit. Die jungen Leser werden sich später vielleicht wundern, dass man sie mit dem Laptop der Chefin nicht alleine lässt, werden aber auch alle Arten scheinbar Flügel verleihender Limonaden kritischer sehen.

Nicola Bardola

Andy Mulligan: "Liquidator". Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Rowohlt, 352 S., 16,99 Euro.