Landgerichtsurteil gegen Pina-Bausch-Buch

"Werkstattgespräch" verletzt Urheberrecht

23. Juni 2017
von Börsenblatt
Das Berliner Landgericht macht die Zusammenfassung vor Publikum geführter Gespräche in einem Buch abhängig von der Zustimmung der Beteiligten. Es untersagt die Verbreitung des Titels "O-Ton Pina Bausch" unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro. Der Nimbus Verlag hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

2016 hatten die Bundeskunsthalle in Bonn und der Berliner Martin Gropius Bau eine Ausstellung zu Pina Bausch gezeigt, als Begleitpublikation hatte die Pina Bausch Foundation gemeinsam mit dem Nimbus Verlag die gesammelten deutschsprachigen Interviews und Reden von Pina Bausch herausgebracht: "O-Ton Pina Bausch". Der Band enthält auch ein "Werkstattgespräch", das Pina Bausch 1987 in der Akademie der Künste Berlin-Ost mit dem Publikum geführt hat; Moderatorin war Ruth Berghaus. Eine redigierte Version des Gesprächs erschien noch zu DDR-Zeiten in den Publikationen der Akademie und sollte ursprünglich auch in den Interview-Band aufgenommen werden, doch erhob Maxim Dessau, der Sohn der inzwischen verstorbenen Ruth Berghaus, dagegen Einspruch.

Nach Angaben des Nimbus Verlags forderte Dessau, die Originalquelle zu edieren, was bei allen Beteiligten auf positive Resonanz stieß: "Dem Grundsatz 'Ad fontes!' ist gerade der Nimbus Verlag in besonderem Maße verpflichtet", sagt Julia Knapp von Nimbus. Stefan Koldehoff, der Herausgeber des Bandes, und die Mitarbeiter der Pina Bausch Foundation haben sich dann sofort an die Transkription der glücklicherweise erhalten gebliebenen Tonbänder gemacht und das Ergebnis Maxim Dessau vorgelegt. "Zum Erstaunen aller bemängelte dieser jedoch die sprachliche Gestalt des authentischen Wortlauts: die Voten der Beteiligten seien in ihren Formulierungen mündlich, das heißt grammatikalisch und stilistisch inkonsistent; sie könnten allenfalls als Vorstufen für eine Veröffentlichung gelten", berichtet Knapp. "Seine Zustimmung zur Publikation könne er erst nach einer durchgreifenden Redaktion geben, die er sich selbst vorbehalte."

Da die Wortbeiträge von Ruth Berghaus weniger als 15 Prozent des Gesamttextes ausmachten und sich weder die Pina Bausch Foundation noch der Nimbus Verlag den Unwägbarkeiten einer glättenden Redaktion aussetzen wollten, beschloss man, den in solchen Fällen üblichen Weg zu beschreiten und die Voten von Ruth Berghaus sachlich zusamenzufassen und nach ihren Interaktions-Aspekten zu charakterisieren. Der Verlag und die Herausgeber sahen sich dazu um so mehr befugt, als die Aussagen auf einer öffentlichen Veranstaltung gemacht getätigt worden waren. "Dazu kommt: Die Quellen werden in einem öffentlich zugänglichen Archiv ohne Sperrvermerk verwahrt und das Verfahren der sinngemäßen Zusammenfassung ist im Journalismus wie in der Geschichtswissenschaft («Regesten») täglich geübte Praxis", sagt Julia Knapp. Nach entsprechenden Fachgrundsätzen habe Nimbus-Verleger Bernhard Echte, der Historiker ist und lange Jahre als Archivar gearbeitet hat, die entsprechenden Zusammenfassungen vorgenommen und im publizierten Band ausdrücklich als solche kenntlich gemacht  – in der Absicht, urheberrechtliche Probleme dadurch auszuschließen.

Das Landgericht Berlin hat nun auf Klage von Maxim Dessau jedoch entschieden (Geschäftsnummer 15 O 312/16), dass die Anfertigung von Zusammenfassungen öffentlich geäußerter Meinungen selbst dann gegen das Urheberrecht verstoßen, wenn diese Äußerungen in ihrer mündlich vorläufigen Form keinen eigenen Werkcharakter aufweisen. "Damit werden nicht nur Eigentexte von Autoren als schutzwürdig betrachtet, sondern auch die Berichte Dritter von der Zustimmung derer abhängig gemacht, über die berichtet wird", erklärt Julia Knapp. "Man kann sich unschwer ausmalen, dass Politikern damit ein geradezu ideales Instrument in die Hand gegeben ist, missliebige Berichte über ihre öffentlichen Auftritte auf dem Weg des Urheberrechts zu unterbinden und faktisch eine weitreichende Zensur auszuüben."